Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
schädigte die eigene Autorität. Ritt man auf einem Pferd ein, hieß es gleich, man gebärde sich wie ein König, gab man sich hingegen mit dem Esel zufrieden – wie Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem – wirkte man in all den prächtigen Gewändern wie eine Witzfigur. Und so weiter. Am besten war es, überhaupt nicht zu reisen, aber auch damit drückte man schließlich etwas aus.
Julius war drauf und dran gewesen, sich für einen Esel zu entscheiden, obwohl er fand, dass diese Tiere unangenehm rochen und sich bisweilen äußerst eigenwillig sogar den Befehlen des Stellvertreters Gottes widersetzten. Aber als er vor dem Esel stand und aufsitzen sollte, fürchtete er, dass das Langohr in der Mitte durchbrechen könnte. Also stieg er, als Trient in Sichtweite kam, von der Kutsche auf ein Pferd um, welches nicht zu groß und nicht zu weiß war, damit Karl V., wenn er davon erfuhr, keinen Grund zur Beschwerde haben würde. Was die Kleidung anbetraf, umging er mögliche Probleme wegen des Weltherrschaftsanspruches, indem er liturgische Kleidung trug, so als feiere er eine Messe. Er hatte als Unterrock die lange, weiße Albe an, und darüber das Messgewand, die Kasel. Den Hirtenstab, die Ferula, hielt er die ganze Zeit in der Hand, obwohl er ihn auf dem Pferd sehr störte. Julius ritt an der Spitze, hinter ihm ein Gefolge von einhundertfünfzig Soldaten, Klerikern und Dienern.
Ein paar Diakone und Laienpriester zogen ihm aus Trient entgegen. Sie entfalteten einen goldfarbenen Baldachin über ihm und begleiteten ihn durch das Stadttor.
Was er innerhalb der Stadtmauern vorfand – oder nicht vorfand -, traf ihn wie eine Wand aus stickiger Luft. Kaum Menschen auf den Straßen, kaum jemand, der links und rechts von ihm niederkniete, niemand, der jubelte. In Rom jubelte man ihm immer zu. Die Pantomimen, die Tänzer, die Musiker, die Akrobaten, seine ganze schillernde Jüngerschaft, die er sich zugelegt hatte, überzog die Ewige Stadt mit karnevalesken Veranstaltungen. In Rom war sein Name mit Frohsinn verknüpft. In Trient dagegen tat man so, als reite der Tod ein.
Vor dem Dom wartete Fürstbischof Madruzzo, umgeben vom höheren Klerus des Konzils. Mönche und Novizen in weißen Gewändern und mit weißen Kerzen in der Hand sangen das » Tu es, Petrus «, Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.
Es war reichlich mühsam, vom Pferd abzusteigen, aber als es mit Hilfe von zwei Soldaten endlich gelang, ging ein Geräusch wie ein Wind über den Domplatz: Hunderte Geistliche sanken auf die Knie. Sich auf den Kreuzstab stützend, wankte Julius, noch unsicher vom schwankenden Ritt, auf sie zu. Er erkannte Innocento, und er atmete auf. Schon allein, um seinen Sohn gesund wiederzusehen, hatte sein Ausflug hierher sich gelohnt, und Julius wurde augenblicklich von dem Gefühl erfasst, dass alle Schwierigkeiten zu bewältigen wären. Nun, wo er hier war, würde alles gut.
Er streckte Madruzzo die Hand entgegen, und der Fürstbischof küsste den anulus piscatoris , den Fischerring. Dann erhob er sich, während die anderen noch knieten.
»Was ist hier los, Madruzzo?«, fragte der Papst leise, obwohl der Chor so laut sang, dass ihn ohnehin keiner der Anwesenden verstanden hätte.
Madruzzo machte eine ohnmächtige Geste. »Eure Heiligkeit, ich …« Er warf einen Blick auf das gesenkte Haupt von Luis de Soto, das von zarten Regentröpfchen benetzt wurde, die vom Himmel fielen. »Manche vermuten den Teufel in der Stadt«, erklärte er.
Julius verstand sofort. Eigentlich hätte er die Zeichen schon beim Einzug durch das Stadttor erkennen müssen: die Abwesenheit menschlicher Geräusche, die Abwesenheit des Lebens. Nur die Inquisition verursachte diese Stille, diese Leere. Er hatte die Zeichen nicht gleich bemerkt, weil er schon lange, sehr lange nichts mehr mit der Inquisition zu tun hatte. Früher, als Erzbischof, hatte er sich ihrer manchmal bedient, ja, er hatte sie in ihrem Tun bestärkt. Mittlerweile schenkte er ihr nur noch wenig Beachtung, vor allem, weil sie ihm, sobald er an sie dachte, schlechte Laune bescherte. Mit der Inquisition verband sich zu viel Scheußlichkeit, und Scheußlichkeit rief wieder die Dämonen hervor, die ihn bisweilen quälten.
»Ich ziehe in den Palazzo des Kardinals del Monte«, sagte er, weil er schlecht »meines Sohnes« sagen konnte. »Schickt de Soto zu mir. Sofort.«
Er wandte sich derart heftig ab, dass die Ferula für einen Moment den Charakter einer Lanze annahm,
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