Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
und dann schritt er entschlossenen Schrittes zu der Kutsche, die wartete.
Der Chor sang noch immer Tu es, Petrus .
Die Nebelschwaden aus dem Tal zogen am Mittag die Abhänge hinauf und würden die Hütte bald vollständig eingehüllt haben. Von oben drückten die Wolken, ein leiser Regen flüsterte. Hieronymus und Carlotta saßen auf einem Holzstamm unter dem Dachvorsprung und wärmten sich gegenseitig unter der Decke. Es war ein schmaler Dachvorsprung, der Regen tropfte ihnen auf die Schuhe, aber sie fanden einen stillen Gefallen daran. Immer wieder lächelten sie sich zu. Sie waren einander genug. Inés war versorgt, Aaron nach Trient gegangen, um Essen zu holen.
»Halte bitte nach Antonia Ausschau«, hatte Hieronymus ihm mit auf den Weg gegeben.
Hieronymus hatte sich darüber aufgeregt, dass Antonia so einfach nach Trient gegangen war, ohne ihm etwas davon zu sagen, und er hatte Carlotta getadelt, dass sie es zugelassen hatte. Doch er war Ton in ihren Händen. Sie brauchte nur wenige Worte, um ihn zu besänftigen, und seither sprachen sie kaum. Das Wenige, das passierte, nahmen sie mit umso größerer Aufmerksamkeit wahr: den Flug der Bergvögel, den kleinen Wasserfall auf der anderen Talseite. Unten war irgendwo eine Bestattung im Gange, dort, wo sich ein paar schiefe Hütten am Fluss gegenseitig stützten. Gelegentlich trug der Wind ein paar Silben eines Klageliedes zu ihnen hinauf, die vorbeizogen und sich in den Bergen verloren. Der Wind war das Requiem.
Für Carlotta gab es nichts Größeres und Schöneres als diesen Augenblick. Trient, so schien es, lag am anderen Ende der Welt. Sie war frei.
Sie blickte nach Norden. So viele hatten versucht, über die Alpen nach Italien zu kommen – die Karthager, die Alemannen, doch sie wollte über die Alpen nach Norden, fort von Rom, von Trient, dem Hurenleben, der Inquisition, fort auch von der Rache, die ihr einfach nicht glücken wollte.
»Hast du noch dein Haus in Ulm?«, fragte sie leise in die Stille des Regens hinein, als wolle sie sie nicht mehr als nötig unterbrechen.
»Ja«, sagte er. »Es dürfte allerdings verfallen sein, vielleicht ist es sogar von anderen in Besitz genommen worden. Ich weiß nicht, ich war nie mehr dort. Aber wir könnten sowieso nicht in Ulm leben.«
»Wenn sich die Kirchen vereinigen …«
»Danach sieht es nicht aus, Carlotta. Wir hätten eine schöne Zeit in Toulouse haben können, aber dieser Villefranche ist seinen Worten untreu geworden und hat …«
Er regte sich auf, und Carlotta drückte ihm sanft die Hand, was genügte, um ihn durchatmen zu lassen.
»Es wäre sowieso nicht dazu gekommen«, fuhr er beherrschter fort, »denn er wurde ja ermordet. Immerhin haben wir Geld bekommen, ohne einen Finger dafür krumm zu machen. Eine beträchtliche Summe. Damit können wir eine weite Reise bezahlen. Wohin möchtest du?«
»Nach England. Dort gibt es zwar Kirchenfenster, an denen du arbeiten kannst, aber fast keine Katholiken. Für eine Weile möchte ich keine mehr sehen.«
»Wir könnten nach Canterbury oder Cambridge gehen«, schlug Hieronymus vor. »Ich hörte auch von anderen Orten mit anglikanischen Kathedralen: Lichfield, Lincoln, St. Albans …«
»St. Albans ist ein hübscher Name«, sagte sie. »St. Albans hört sich an, als könnte man dort in Frieden leben.«
Er lächelte über ihre Naivität, doch es war kein abfälliges Lächeln, sondern voller Rührung. »Dann ist es ausgemacht«, sagte er. »St. Albans.«
Sie schwiegen lange, der Totengesang aus dem Tal war die einzige Unterhaltung. Er schwoll an, wurde lauter, da der Wind kräftiger blies.
Mit dem Wind kam auch Aaron zurück. Er brachte in einem Korb auf seinem Rücken Kohl, Rüben, Mehl, Eier, gesalzenen Fisch und einiges mehr. Dazu sein Keuchen, das vorwurfsvoll klang oder ein Lob provozieren sollte. Hieronymus lobte den Jungen. Wieso auch nicht? Aaron war ein Helfer, und er mochte Inés, ja, er hatte ihr sogar weiteres süßes Schmalzgebäck mitgebracht, in der Hoffnung, sie damit froh zu machen. Dass er seit gestern Abend fast unentwegt auf Carlottas stramme Brüste starrte, sobald er glaubte, unbeobachtet zu sein, ließ sie dem Fünfzehnjährigen durchgehen.
»Von Antonia keine Spur«, berichtete er, als sie in der Hütte die Speisen verstauten. »Ich hatte wenig Zeit, nach ihr zu suchen, denn ich musste ja das Essen besorgen, und alle Marktstände waren abgebaut. Der Papst ist nach Trient gekommen.«
Das Ei zerbrach Carlotta zwischen den
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