Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Fingern. Hieronymus gab einen bedauernden Laut von sich, Aaron wischte das Malheur auf. Sie entschuldigte sich, niemand schenkte dem Vorfall weitere Beachtung. Um sich die Hände zu waschen, ging sie zu einem Eimer vor der Tür. Das Wasser war eiskalt. Zuerst wusch sie sich die Hände, dann die Unterarme, den Hals und das Gesicht. Schließlich wusch sie sich noch einmal die Hände.
Der Nebel hatte die Hütte erreicht, umkreiste sie, schloss sie ein.
Auf einem Pflock lag Aarons Schnitzmesser, gleich neben einer hölzernen Palme, die der Junge für Inés schnitzte. Carlotta nahm das Messer an sich und blickte durch das Fenster ins Innere der Hütte. Hieronymus neckte Aaron, weil dieser schon wieder einen Kringel aß. Inés saß auf dem Stuhl und steckte sich kleine Stücke des Gebäcks, das Aaron gebracht hatte, in den Mund. Dann sah sie zum Fenster. Carlotta erinnerte sich nicht, in den letzten fünf Jahren jemals einen so wachen, gegenwärtigen Blick des Mädchens erlebt zu haben. Seit einigen Tagen geschah etwas mit Inés. Gestern, als Sandro Carissimi ins Atelier gegangen war, hatte Inés fast gelächelt, und ihre Augen waren aufmerksamer geworden. Sie hatte sogar nach der Hand des Jesuiten gegriffen, und als sie sich trennten, hatte sie ihm gewunken. Wenn er sie Margherita nannte, stieg Freude in ihre Augen, so als spreche ihr ein Mann ein großes Kompliment aus. Sie konnte gar nicht genug von Sandro Carissimi bekommen.
Carlotta gab ihr ein Zeichen, nickte und lächelte und winkte. Es war ein Abschied. Und Inés schien das zu verstehen. Ihre Geste war nicht groß, nur zwei Finger, die sich kurz hoben, doch das war mehr als alles, was sie seit dem Alptraum von Siponto gezeigt hatte.
Carlotta ging in den Nebel.
Giovanni Maria del Monte in Trient: Das war ein Zeichen, das war ein Ruf.
Als Antonia das Atelier betrat, saß er im Licht des Fensters, das ihn und sie darstellte. Ihrer beider Zustand spottete der makellosen Ruhe und Schönheit des Bildes. Er sah mitgenommen und sie sah elend aus. Sie hatte unübersehbar viel geweint. Sobald sie neben dem Stuhl, auf dem er saß – dem Stuhl, auf dem sie immer ihr Tagebuch schrieb – auf die Knie gesunken war, breitete sich ein Kribbeln über ihren Körper aus. Da waren wieder seine Augen, bei deren Anblick sie immer öfter das Gefühl bekam, sie könnten sprechen, direkt in ihr Herz, wo sie irgendetwas freisetzten.
Sie hätte ihn jetzt küssen können. Oft war sie es gewesen, die als Erste küsste, und oft hatten sich der Mann und sie gleichzeitig geküsst, waren gleichzeitig übereinander hergefallen wie zwei zusammenstoßende Heerscharen. Dieses Mal wollte sie, dass er sie küsste. Und falls er es täte? Wie lange würde es dauern, das zwischen ihr und ihm? Eine Ewigkeit, ein Leben lang, ein paar Jahre, eine Woche, diese Stunde, die Dauer eines Kusses? Sie wusste es nicht. Seit Matthias wusste sie gar nichts mehr über sich.
Er tat etwas, womit sie nicht rechnete. Ihr Gesicht wurde von seinen feingliedrigen, filigranen Händen berührt und umschlossen. Einer ihrer Liebhaber hatte ihr einmal gesagt, ihre Hände würden ein bisschen verbrannt riechen, und im ersten Moment hatte sie geglaubt, die Arbeit mit Fegefeuer und Weltuntergang habe sich auf den Geruch ihrer Hände übertragen. Erst später war ihr eingefallen, dass Holz- und Pflanzenasche Bestandteile des Glases waren, aber da war es schon zu spät: Der Gedanke, dass das, was sich in ihrer Fantasie ereignete, sich auf ihren Körper übertrug, hatte sich festgesetzt. Sandros Hände rochen nach etwas Sakralem, Geweihtem, nach alten Büchern, nach beschriebenem Papier, nach Erde, nach Vertrautem, nach Liebe, nach Dingen, die überdauern, die bleiben, wenn sie gut gewesen sind. Sie rochen nach einem Leben, mit dem er insgesamt zufrieden war.
Er würde sie nicht küssen.
Vielleicht war es besser so. Innerhalb einer einzigen Stunde zweimal die Liebe zu verlieren, wäre unerträglich.
Er löste die Hände von ihrem Gesicht und griff nach einer Feder, die er nachdenklich betrachtete.
Ihre Stimme zitterte, als sie sagte: »Was tut Ihr eigentlich hier?«
Auch seine Stimme zitterte. »Ich dachte, ich komme hier in Eurem Atelier auf einen klaren Gedanken. In meinem Amtsraum hätte ich die ganze Zeit gefürchtet, dass der Papst zur Tür hereinkommen könnte. Hier ist ein Platz, wo mich keiner findet.«
»Und die Feder?«
»Sie lag neben Villefranches Leiche. Seltsam, nicht? Eine Schreibfeder.«
»Das ist
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