Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Tochter, eine Unterhaltung mit seinem Sohn führte, doch das würde sie erst mit Sicherheit wissen, wenn sie die Tür öffnete. Da die Tür durch den Wandteppich getarnt war, bestand vorerst keine Gefahr, entdeckt zu werden. Jedoch – knarrte diese Tür?
Carlotta versuchte, sich zu erinnern. Als sie vor einigen Tagen hier gewesen war, hatte da die Tür geknarrt? Gut möglich. Sie war alt und lange nicht benutzt worden.
Sosehr Carlotta sich anstrengte, sie entsann sich nicht. Zu aufgewühlt war sie gewesen, zu sehr beschäftigt mit ihrer Rache, als dass sie auf ein so unbedeutendes Detail geachtet hätte.
Wenn sie die Tür jetzt nicht öffnete, würde sie es nie erfahren.
Sie tastete – schon das ein Risiko – nach dem Knauf. Die Schwärze machte alles doppelt schwierig, denn sie verhinderte, eigene Bewegungen einschätzen zu können.
Carlotta machte ihre Sache gut. Die Tür öffnete sich, ohne dass ein Geräusch zu hören gewesen wäre. Nun zog sie die Tür langsam zu sich heran.
Knarrte es?
Es knarrte nicht.
Gefiltertes Licht drang durch den Wandteppich, vor dem sie jetzt stand.
Sie erschrak. Innocentos Stimme war so unglaublich nah. Wäre der Teppich nicht gewesen, hätte sie die Hand nach ihm ausstrecken – oder ihn mit dem Messer niederstrecken – können. Doch diese Phase war vorbei, Innocento war nicht länger ihr Ziel. Er war ein einfacher, guter Kerl, vielleicht ebenso ein Opfer seines Vaters wie sie auch, und er half Sandro dabei, zu überleben.
»Sandro Carissimi«, sagte Innocento, »ist einer der wenigen aufrichtigen Menschen, die ich unter den Geistlichen gefunden habe. Jeder andere hätte mich entweder verachtet oder umschmeichelt. Er hat nichts anderes von mir erbeten, als seine Arbeit fortführen zu dürfen, obwohl er weit mehr hätte bekommen können. Ein Wort von ihm, und ich hätte ihn zu meinem Sekretär gemacht, in Ämter berufen … In Rom hätte er eine schnelle, steile Karriere machen können. Doch solche Dinge interessieren ihn nicht. An inneren Werten ist er Euch und mir weit überlegen, und genau das stört Euch an ihm.«
»Lächerlich!« Die Stimme gehörte Luis de Soto. »Für Euch kann ich nicht sprechen, aber was mich betrifft, war Sandro Carissimi immer schon von armseligem Geist, leicht zu führen, leicht zu beeindrucken, ein Hammel in der Herde. Gerade darum war er ein guter Assistent, mehr nicht.«
»Doch dann ist er selbständig geworden, und Ihr habt es mit der Angst zu tun bekommen, wie? Irgendetwas verbergt Ihr vor meinem Vater, und Sandro Carissimi ist Euch auf der Spur. Habt Ihr mit dem Geld, das ich verwahrt und Euch im Auftrag meines Vaters gegeben habe, etwas getan, das Ihr nicht hättet tun dürfen?«
»Diese Unterhaltung führt zu nichts. Ihr habt Eure Möglichkeiten der Beeinflussung von Julius eingesetzt, ich meine eigenen. Es war ein Kampf mit gleichen Waffen. Ich habe gewonnen. Im Gewinnen war ich immer schon gut. Ihr habt es mir einfach gemacht, wisst Ihr? An die Dankbarkeit des Papstes für den Lebensretter seines Sohnes zu appellieren war wirklich mehr als naiv. Ihr habt nichts verstanden von Macht, den Einsatz von Macht, den Erhalt von Macht und dass Dankbarkeit ein Luxus ist, den sich nur wenige Mächtige leisten. Meine Argumente waren besser, aber was soll’s? Ihr habt einen Kardinalshut, einen Palazzo, Schätze, Wein, Frauen … Wozu sich über einen unbedeutenden Mönch den Kopf zerbrechen?«
»Schon diese Frage zeigt, was für ein Mensch Ihr seid. Ohne Carissimi wäre ich jetzt tot. Er ist mein Freund, hat mein Versprechen …«
»Mein Freund, mein Versprechen«, unterbrach Luis de Soto und legte eine derartige Betonung in die Worte, dass sie zu Abfall wurden. »Man könnte meinen, ich hätte mich eben mit einer Wand unterhalten. Wie dem auch sei: Sandro Carissimi ist fortan eine unerquickliche, traurige Geschichte, die einen schönen Namen trägt und in ein paar Monaten niemanden mehr interessieren wird, auch Euch nicht. Versucht erst gar nicht, es zu leugnen. Der Papst ist meinem Rat gefolgt, in jeder Hinsicht. Meine Vollmachten sind lückenlos. Sollte ich Sandro, die Hure Carlotta, das irre Mädchen und die Familie Bender finden, sind sie die Ersten, denen der Prozess gemacht wird …«
Carlotta taumelte zurück. Wie eine Blinde stürzte sie sich in die Nacht des Geheimganges. Jede Vorsicht außer Acht lassend, prallte sie gegen Wände, strauchelte, stand auf, rannte weiter. Kein Gedanke mehr an Rache. Sie musste Antonia und die
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