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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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einer Hure, Eminenz. Sie hatte gestanden.«
    »Carissimi leistet bei der Aufdeckung der Verbrechen bessere Arbeit als Ihr, de Soto.«
    Luis konnte sich nur mühsam beherrschen. Was bildete sich dieser ungebildete Flegel, der außer vom Faulenzen und Saufen von nichts eine Ahnung hatte, eigentlich ein! »Mit Verlaub, Eminenz, aber das zu beurteilen seid Ihr nicht in der Lage.«
    »Sandro Carissimi hat sich mutig zwischen mich und einen Mörder geworfen, oder sollte ich – um mich Eurer Theorie zu bedienen – besser sagen, zwischen mich und den Teufel.«
    »Ich spreche Carissimi nicht den Mut ab, Eminenz, sondern die Gutartigkeit seiner Absichten.«
    »Und ich bestreite die Aufrichtigkeit Eurer Motive, de Soto.«
    Papst Julius erhob sich und setzte dem Wortgefecht ein abruptes Ende. »Als ich vorhin von einem Fest sprach, meinte ich kein Schlachtfest.«
    Julius blickte von Luis zu Innocento und wieder zurück, dann ging er durch das Zimmer und blieb vor dem Fenster stehen. Der trübe Nachmittag tauchte ihn in ein graues, kaltes Licht, das seine sonst vom Alkohol verschwommenen Gesichtszüge konturierte, gleichsam vereiste.
    Jeder wartete auf sein Wort.
     
    Er war wie die Falter gewesen, die, eingesperrt in einem Zimmer, wild mit den Flügeln schlugen. Auf der Suche nach Carlotta war er die Hänge hinauf- und hinabgelaufen und hatte tausendmal ihren Namen gerufen. Dann war ihm klar geworden, dass sie nicht mehr in der Nähe war.
    Er ging am Fluss entlang, was ein Umweg war. Der andere Weg, der schnellere, war voller Stolperfallen, und die Dämmerung setzte bereits ein. Für wenige Augenblicke fand die untergehende Sonne einen freien Spalt am Horizont und tauchte das Land in ein gedämpftes Licht, ein wenig wie das Innere der kühlen spanischen Kathedralen. In der Ferne war Trient zu erkennen, Konturen von Dächern, Türmen und Mauern, rötlich wie ein Kupferstich. Schnell ging alles in schieferfarbenes Grau über. Wieder stieg wie jeden Abend Dunst über der Mitte des Flusses auf, in figurenhaften Schwaden, Gespenstern aus Feuchtigkeit, dann verlor der Dunst seine Form, verbreitete sich über das Wasser, hüllte die Ufer ein und kroch an Land. Und das alles geräuschlos wie ein Geheimnis.
    Auch Carlotta, das ahnte Hieronymus, hatte ein Geheimnis, ihr Beruf, ihre Vergangenheit, ihr ganzes Dasein waren für ihn etwas Unerforschtes. Das war einer der Gründe, weshalb er sie liebte. Seit Adelheids Tod – nein, er musste ehrlich sein -, noch nie war er einer Frau wie ihr begegnet. Sie war nicht wie die tausenden Amselmütter, die nichts anderes im Sinn hatten als die Aufzucht der Nachkommenschaft, Futtersuche und Revierverteidigung. Irgendein Leid wohnte in ihr und gab ihr eine Unabhängigkeit und Tiefe, die ihm zu Herzen ging. Er war auf ihrer Seite, bedingungslos. Kein Evangelium stand höher als sie. Neben ihrem Körper zu sitzen, zu schlafen, zu atmen, zu sterben, das war alles für ihn – nur Antonias Glück war ihm gleich wichtig. Carlottas Schicksal und seines waren unweigerlich miteinander verknüpft, und jede Dunkelheit, die sich in ihrem Herzen breitmachte, erfasste auch ihn. So war es gewesen von dem Tag an, an dem er ihr begegnet war.

20
    Nichts erzeugt so viel Panik wie vollkommene Dunkelheit, unbarmherzige Finsternis. Das stellte Carlotta fest, als ihre Fackel kurz vor dem Ziel erlosch. Das Ende des Geheimgangs, die Tür zum Inneren des Palazzo Miranda, war nur noch dreißig, vierzig Schritte entfernt – ohne jede Lichtquelle unerträgliche Schritte. Kein Auge gewöhnt sich an absolute Schwärze.
    Zunächst stand sie wie versteinert da, wagte nicht zu atmen, wagte keine Bewegung, so als wandle sie auf Dantes Pfad an den neun Kreisen der Hölle entlang und drohe, zu stürzen und verschlungen zu werden. Erst als sie begriff – also wirklich verstand! -, dass sie nichts zu befürchten hatte, überwand sie den Schrecken und tastete sich an der Wand entlang, sehr langsam, Fuß um Fuß. Das Gespür für Entfernungen war ihr verloren gegangen, auch das Gefühl für Zeit erlosch. Sie meinte, bereits eine Stunde im Dunkel zu tappen, aber es konnten ebenso gut zehn Lidschläge gewesen sein, sie wusste es nicht.
    Irgendwann hörte sie Stimmen, dumpf und entfernt, und sehr bald ertasteten ihre Fingerspitzen die Tür. Sie drückte ihr Ohr an das Holz und versuchte zu verstehen, wer mit wem sprach. Leider war das Holz zu dick dafür. Ihre Hoffnung war, dass Giovanni Maria del Monte, der Papst, der Mörder ihrer

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