Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
anderen warnen. Sie musste schneller sein.
»Dich hätte ich nun wirklich nicht erwartet«, sagte Matthias, und in seine Augen trat der Glanz der Zufriedenheit. Er bemerkte zwar die zwei Wachen im Hintergrund auf der anderen Seite der Gasse, aber er stellte keine Fragen. Er ging voraus, eine einzelne Öllampe in der Hand, mit der er den Weg durch die Casa Volterra beleuchtete. Auf dem Esstisch waren ein Holzteller, zwei dünne Scheiben Brot und eine kleine Platte mit Speck und Salzhering ausgebreitet. In der Luft lag der säuerliche Geruch von Gewürzgurken, die jedoch nicht zu sehen waren.
»Ich esse gerade«, sagte er. »Der Diener hat frei. Wir sind also allein.«
Es war kalt, der Kamin wurde nur stundenweise beheizt, doch das schien ihm nichts auszumachen. Er stellte die Öllampe auf den Tisch und setzte sich. Nichts in seinem Verhalten deutete auf irgendein Gefühl hin.
In zwei Kisten auf dem Boden waren Hosen, Röcke, Hüte einsortiert, ein paar weitere Kleidungsstücke hingen über den Stuhllehnen.
»Morgen, vielleicht auch erst übermorgen werde ich Trient verlassen«, erklärte er das Durcheinander. »Morde, Inquisition, verängstigte Eminenzen, die Anwesenheit des Papstes: Das alles macht weitere Verhandlungen mit der römischen Kirche unmöglich. Ich werde meinem Herzog die traurige Nachricht überbringen, dass ich keine Möglichkeit für eine Wiedervereinigung der Kirchen sehe.«
Antonia sah ihn nur an, sprach kein Wort. Ihr Blick wanderte über sein Gesicht wie über eine Landkarte, die man verstehen wollte.
Ihr Schweigen irritierte ihn. »Und du? Bist du gekommen, um dich zu entschuldigen?«
Sie konnte ein belustigtes Seufzen nicht unterdrücken.
»Mein Gott, was für ein Komödiant du doch bist«, sagte sie. »Ich glaube tatsächlich, so siehst du die Welt, wie eine Theaterloge, vor der du deine Vorstellung gibst. Wir sind deine dich bewundernden Zuschauer, lassen uns von dir in eine andere Wirklichkeit entführen, von dir ver führen, von dir irre führen, an der Nase herum führen. Wir sind dir ergeben, du streichelst uns. Dein Schauspiel ist derart überzeugend und umfassend, dass ich mir nicht sicher bin, ob du den Schauspieler Matthias Hagen überhaupt noch vom Menschen Matthias Hagen trennst. Wem spielst du nicht etwas vor? Vor mir, vor Sandro, deiner Mutter Elisa, deiner verstorbenen Frau und den Reformern des Konzils hast du eine bemerkenswerte Posse gegeben. Vor wem nicht, frage ich? Wer bleibt noch übrig?«
Keine Regung auf seinem Gesicht, diesem Marmorblock mit den blauen, bestechenden Augen. »Da du eine glasmalende Frau bist, die sich mit dem Zusammenkleben von Scherben beschäftigt, nehme ich deine wirren Erläuterungen nicht allzu ernst.«
Antonia beugte sich über die Tischplatte, sah ihn an und sagte: »Das solltest du aber.«
Sie griff nach dem Salzhering und legte ihn mit einer kindlichen Freude auf den blanken Holztisch. »Lass mich nun mein eigenes Theaterstück spielen«, sagte sie. »Nehmen wir an, der Salzhering, das bist du. Durchaus passend, wie ich finde. Matthias Hagen, der Salzhering, ist ein kleiner württembergischer Diplomat in den Diensten eines Herzogs. Dieser Herzog, ein Protestant durch und durch, hat gegen seinen katholischen Kaiser einen Krieg verloren und ist gezwungen, seinen guten Willen zu zeigen. Um sein Land und seinen Herzogstitel nicht zu verlieren, wird er rasch zu einem Anhänger einer Wiedervereinigung der Kirchen und entsendet den Salzhering zum Konzil von Trient, offiziell, um zu verhandeln, insgeheim, um die Annäherung zu verhindern oder wenigstens hinauszuschieben. Denn der Kaiser ist alt, und wer weiß, ob ihm das Glück gewogen bleibt.«
Sie griff nach dem Speck und legte ihn neben den Salzhering. »Hier haben wir Luis de Soto – nicht ganz so passend, aber es ist leider keine Gurke übrig. Luis, der Speck, hat ein ähnliches Problem wie Matthias, der Salzhering. Auch sein Auftraggeber, der Papst, will eigentlich keine Vereinigung mit den Protestanten, denn das würde eine große Kirchenreform voraussetzen, und die wiederum könnte an den gottgegebenen Grundfesten des Papsttums rütteln. Andererseits sieht er sich von dem bösen Kaiser bedroht, hinweggefegt zu werden, falls er einer Wiedervereinigung im Wege steht. Auch er ist somit – wie der Herzog – in der Zange zweier Ängste gefangen, nämlich der Angst, vom Kaiser abgesetzt zu werden, und der Angst, sich gegen den eigenen Glauben und die eigenen Interessen zu
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