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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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auf der Suche nach einer Arbeit, die sie beginnen oder abschließen könnte. Überall herrschte Unordnung, denn normalerweise hielt Antonia wenig vom Aufräumen, es stahl ihr die Zeit und die Kraft, die sie für ihre Arbeit an den Fenstern brauchte. Die Arbeiten für den Dom waren jedoch abgeschlossen – von der Entfernung von Bertanis Porträt einmal abgesehen -, und die meisten Entwürfe für Santa Maria Maggiore, eine weitere Trienter Kirche, lagen bereits fertig im Regal. Da sie aber auf keinen Fall nur herumsitzen wollte, rafften ihre Hände zusammen, was sie fassen konnten, und legten es an einem anderen Platz wieder ab. Damit, sagte sie sich, hätte sie vorerst genug zu tun, und später würde sie dann ihr eigenes Zimmer aufräumen, in dem sich Laken, Strümpfe, Papier und Bücher umarmten.
    Carlotta kam lachend in das Atelier herein und bemerkte Antonia zunächst nicht. Sie war eine reife Frau – reif war das Wort, das Antonia immer als Erstes einfiel, wenn sie Carlotta betrachtete. Schwarze, leicht gekräuselte, hochgesteckte Haare. Nicht ganz schlank, nicht zierlich, aber auch nicht dick. Ein üppiger Busen, sehr straff, so als würde er nicht zu ihrem Körper gehören, sondern sich von ihm entfernen wollen. Kluge, wissende Augen, die schon viel gesehen haben mochten. Für eine Hure war Carlotta überraschend intelligent, was den Schluss nahelegte, dass sie nicht von Jugend an in diesem Metier arbeitete. Ihr Name allerdings war wohl erfunden: Carlotta da Rimini – zu schön, um echt zu sein. Es musste sich um einen »Künstlernamen« handeln.
    »Liebes, wie lange stehst du da schon herum?«, fragte Carlotta, nachdem Antonia sich bemerkbar gemacht hatte. »Ich suche den Ausgehrock deines Vaters, den einzig sauberen, den er hat. Hast du ihn gesehen?«
    Antonia zuckte die Schultern und machte eine Geste, die die ganze Welt einschloss, eine Welt, die in diesem Augenblick aus einem Raum voll von Gestellen, Tischen und Pulten übersät mit Lappen, Pinseln, Stößeln und Scherben bestand.
    Carlotta seufzte und machte sich auf die Suche nach dem Kleidungsstück. Sie kümmerte sich rührend um Hieronymus, seit sie ihn in Trient kennengelernt hatte, nähte seine Kleider, schimpfte mit der Wäscherin, und sie benahm sich außerhalb des Ateliers äußerst diskret, um ihm keine Scherereien zu machen. Hätte Antonia sich eine Stiefmutter aussuchen dürfen, wäre ihre Wahl sofort auf Carlotta gefallen.
    »Warst du im Dom?«, fragte Carlotta. »Und wie ist es, das Licht? Taugt es etwas?«
    Antonia nickte. Sie hatte Carlotta erklärt, dass die Arbeit eines Glasmalers erst beendet war, wenn er sein Werk vollständig und an Ort und Stelle betrachtet hat. Nur im Innern des Bauwerks erwies sich, ob der Einfluss von Sonne und Schatten richtig berechnet worden war, ob das Blau den beabsichtigten Schimmer von Azur, Violett oder Purpur in sich trägt, ob der ganze Raum erfüllt ist von der Stimmung, die zu ihm passt.
    »Diese Fenster kann man nicht ignorieren«, sagte Antonia, »sie werden so manchen zum Zittern und Sichfürchten bringen.«
    »Zittern und sich fürchten! Na, wenn das kein Grund zum Feiern ist. Ist dein Vater genauso zufrieden mit deiner Arbeit wie du?«
    »Ja. Er meinte allerdings, ich hätte mir nicht schon wieder die Apokalypse vornehmen sollen.«
    »Da hat er recht. Du bist zu jung, um das Leben mit einer Aneinanderreihung von Weltuntergängen zu verbringen. Wieso machst du nicht mal Fenster, die die Menschen zum Träumen bringen?«
    »Das mache ich doch.«
    »Ich meine keine Alpträume, Liebes. Ich meine schöne Träume, selige Träume, Träume von Engeln und Helden und Heiligen.«
    »Vater hat mit dir über mich gesprochen, richtig?«
    »Er macht sich Sorgen wegen deiner vielen Apokalypsen.«
    »Ich glaube, er hält mich manchmal für ein wenig verrückt.«
    »Nun, du bist verrückt.« Sie kam einem Protest Antonias zuvor, indem sie fortfuhr: »Ich finde es nicht schlimm, verrückt zu sein. Es gibt eben nicht nur eine einzige Frau, ein einziges Wesen in dir. Du setzt dich in der gleichen Weise zusammen wie deine Fenster, ein Mosaik aus Farben, Leidenschaften und Episoden – und aus Scherben. Ich kann dich sehr gut verstehen, das habe ich auch Hieronymus gesagt. Achte aber darauf, dass du nicht völlig von Leidenschaften beherrscht wirst, denn allzu leicht schlagen sie in Zwänge um.«
    »Sprichst du aus Erfahrung?«
    Carlotta ignorierte die Frage. »Wenn du etwas nicht aus vollem Herzen willst, musst du es

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