Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
gleichen Saft lebten. In letzter Zeit hatte sie fanatisch an den Fenstern gearbeitet und alle Kraft und Fantasie und Erregung in die Apokalypse gesteckt. Seit Wochen hatte sie nicht mal an einen Mann gedacht, geschweige denn an das, was man mit ihm anstellen könnte. Und nun, nach getaner Arbeit, fühlte sie diese Erregung, diese seltsame Unruhe, noch immer in sich, nur dass sie sich vorläufig nicht mehr am Glas abreagierte, sondern – wie üblich – am männlichen Körper. So war es immer, Glas und Männer, Männer und Glas im Wechsel, wie zwei Substanzen, die nicht vermischt werden durften, da sie sonst einen ungeahnten Effekt nach sich ziehen würden.
Damit, wiederholte sie in Gedanken, hatte sich das Thema Sandro Carissimi erledigt.
Die Krummbeinige war es, die das Gerücht von der brutalen Ermordung Salvatore Bertanis in das Atelier brachte, nebst zwei Schalen Hafergrütze, die sie wie die Waage der Justitia in den Händen vor sich her balancierte. Ihrem alten Hals entstieg ein Geräusch, das normale Menschen nur dann verursachten, wenn sie dickes Pergamentpapier in der Mitte zerrissen.
»Rrrrrrrrrrrrk. Aufgeschlitzt, einfach so. Rrrrrrrrrrrrk. Luft weg. Tot.« Die Krummbeinige streckte die Zunge aus dem Mundwinkel und verdrehte die Augen. »So lag er da. Wenn ich es sage: blutleer, bleich und tot.«
Antonia lächelte sie ein wenig blöde an, wie man eben jemanden anlächelt, den man für dumm hält, aber zu höflich ist, es auszusprechen.
»Vielen Dank für die lebhafte Beschreibung, Frau … äh.« Sie, stockte, weil sie diese Frau untereinander stets nur die Krummbeinige nannten und ihr der Name entfallen war. »Wenn wir jetzt bitte die Grütze bekommen könnten.«
»Bitte sehr!« Die beiden Schalen landeten unsanft auf einem Werktisch, aber die Grütze war derart zäh, dass man die Schalen hätte umkippen können, ohne ihr Auslaufen befürchten zu müssen.
Antonia entging nicht, wie sich die faltigen, wie mit Nadelstichen zugenähten Lippen der Krummbeinigen zusammenzogen. Sie hatte sie offenbar schwer beleidigt, denn die Ermordung Bertanis war für diesen Tag von der Krummbeinigen zu ihrem Lieblingsthema ernannt worden, zu etwas, das man nach Belieben verzieren und verändern kann und seine helle Freude dabei hat. Doch Antonia hatte ihr die Freude verdorben.
»Habe nur zwei Schalen gebracht«, sagte sie mit einem sauertöpfischen Seitenblick auf Carlotta, die zusammen mit Hieronymus den Tisch freiräumte, um Platz für das Frühstück zu machen. »Das Zimmer von der da ist im Untergeschoss, und da steht auch die Hafergrütze.«
Carlotta schreckte auf. »Du bist in mein Zimmer gegangen, Weib?«
»Und wenn ich’s täte? Was hat eine wie du schon zu verstecken?« Die Krummbeinige lachte rau, es klang so ähnlich wie das Geräusch, das sie kurz zuvor gemacht hatte. »Du zeigst doch gerne alles, was du hast, und zwar jedem, der danach fragt.«
Hieronymus erhob sich von seinem Stuhl und ging auf die Krummbeinige zu. Obwohl er versuchte, aufrecht zu gehen, neigte sich sein Oberkörper wie immer leicht nach vorn. Seine Hände zitterten, aber sie zitterten häufig in letzter Zeit. In der Hand, mit der er herumwedelte, hielt er etwas, das Antonia nicht erkennen konnte. Hinter seinem hellgrauen Vollbart, der ihm sonst eine gewisse Sanftheit verlieh, zuckte plötzlich ein Muskel.
Die Krummbeinige bekam es mit der Angst und floh, wobei sie eine Duftfahne von Schweiß und Grütze hinter sich herzog.
»Diese Frau«, brummte Hieronymus, »ist die achte Plage der Menschheit.«
Antonia streichelte ihm beruhigend über den Rücken. »Du wolltest ihr doch nichts antun, oder, Vater?«
»Das Schlimmste, was ich ihr antun werde, ist, sie als böses Weib in einem Kirchenfenster zu verewigen. Als Herodias vielleicht.« Er öffnete seine Faust, und hervor kam ein altes Wäschestück, das sich wie eine Blüte entfaltete. »Es müsste mal gewaschen werden, fürchte ich.«
Carlotta nahm es an sich. Es war eine stumme Geste, die viel ausdrückte. Seit zwei Wochen pflegte sie Hieronymus, leistete ihm Gesellschaft, zog ihn an, zog ihn aus, zog ihn um, und das alles, ohne etwas dafür zu nehmen. Derart spitzen Bemerkungen der Krummbeinigen ausgesetzt zu sein, vor ihm, dem Mann, mit dem sie eine erst kurze, aber aufrichtige Zuneigung verband, musste sie tief verletzen. Natürlich wusste Hieronymus, welchem Metier Carlotta nachging. Nach Antonias Wissen hatten sie nie darüber gesprochen, aber er war nicht blind und
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