Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
eben so gekommen, und er würde es zu Ende bringen, wie er alles zu Ende brachte – effektiv und siegreich.
    Der Sprühregen des Abends geht in Schnee über. Er fröstelt. Unter seinen Füßen knirscht das gefrorene Laub. An einer Weggabelung bleibt er stehen und überlegt kurz, in welche Richtung er sich wenden muss. Der eine Weg führt am Fluss entlang nach Norden, in die Dörfer, zu den Hütten. Der entgegengesetzte Weg ist der Richtige.
    Wieder glaubt er, ein Echo seiner Schritte zu hören, wieder stellt er fest, dass er sich das einbildet. An der Galgeneiche angelangt, hebt er seinen Blick in ihr Geäst, und er sieht den Schnee aus der Dunkelheit herabfallen. Schnee, der nun dichter wird und der – wenn es so weiterschneit – bis zum Morgen alles bedecken wird, was am Boden liegt.
    Erst jetzt fällt ihm ein, dass Villefranche hier an derselben Stelle ermordet worden war.
    Er friert. Die Kälte kommt plötzlich von Norden her, Windböen wehen durch das Tal. Die Äste schaukeln, der Schnee schlägt ihm ins Gesicht. Er wendet sich dem dampfenden Fluss zu.
    Er hat das Gefühl, nicht mehr allein zu sein.
    »Hagen?«, ruft er, obwohl er niemanden sieht und nichts hört, nur den Schnee, der ihm auf den Rücken fällt mit unglaublicher Sanftheit.
     
    Sandro hatte sich hinter einem niedrigen Ginsterbusch verborgen. Zuerst hatte er sich überlegt, ins Schilf zu gehen, weil es näher an der Galgeneiche wuchs, aber irgendetwas hatte ihm an diesem Versteck nicht gefallen. Im Wasser stehend, wäre es fast unmöglich gewesen, absolut lautlos zu sein, und außerdem war es kein Vergnügen, in dieser Nacht die Füße in der Etsch zu baden. Es war sehr plötzlich kalt geworden. Von Norden drückten Windböen ins Tal und brachten Schnee mit. Wenn die Flocken auf den Ginsterbusch trafen, gaben sie ein leises Knistern von sich.
    Das war noch nicht der Winter, doch es war eine Ahnung davon. Das Schneegestöber mischte sich mit dem Nebel des Flusses zu einer kalten Wand. Von Sandros Versteck aus war die Galgeneiche nur ein riesiger dunkler Schemen, unheimlich mit den ausladenden Ästen.
    Die Schritte hörte er bereits, als sie noch ein gutes Stück entfernt waren. Das Laub knirschte wie Glas unter den Füßen.
    Dann sah er Luis, nicht deutlich, aber er erkannte seine Gestalt. Vor der Eiche, dem Ungetüm, blieb Luis stehen und wartete. Der Wind blies heftiger. Luis wandte ihm den Rücken zu. Zu Abertausenden fielen die Schneeflocken auf den gefrorenen Boden und verursachten das knisternde Geräusch, das bald alles übertönte. Sandro sah und hörte immer weniger.
    Er zuckte zusammen, als neben dem Busch urplötzlich eine Gestalt auftauchte. Langsam, um sich nicht zu verraten, drehte er sich so, dass es für ihn möglich wäre, den Kopf der Gestalt zu erkennen.
    Das Gestrüpp war dicht. Vorsichtig schob er mit beiden Händen einige der dünnen, biegsamen Zweige zur Seite. Glücklicherweise bewegte sich die Gestalt nicht, sondern blickte in Richtung der Galgeneiche.
    Noch immer konnte Sandro das Gesicht nicht sehen. Er beugte sich vor und richtete sich ein wenig auf. Er sah die Haare, das Profil … Der Schreck traf ihn wie ein Tritt. Das war doch nicht – das konnte doch nicht sein. Fast hätte er sich durch ein Aufstöhnen verraten.
    Er sackte zusammen. Sein Herz schlug unregelmäßig, heftig. Noch einmal blickte er auf. Er irrte sich nicht.
    Sie war es.
    Sie ging auf Luis zu, der sie nicht sah, weil er in die andere Richtung blickte. Ihr Gang war schleppend, taumelnd.
    Sandro war völlig überrumpelt. Er hatte jemand anderen erwartet, hätte alles erwartet, aber das …
    Er musste sich zusammennehmen. Fallen waren dazu da, um zuzuschnappen. Er konnte, er durfte nicht zulassen, dass Luis das vierte Opfer würde.
    Inés hatte Luis schon fast erreicht.
    Sandro erhob sich. Den zwei Soldaten, die ihn begleitet hatten und die sich in der Nähe verbargen, gab er ein Zeichen, noch verborgen zu bleiben.
    Inés streckte die Hand aus. Sie streckte die Hand aus.
    Sandro war bereit.
    Im letzten Moment erkannte er, dass sie keine Waffe hatte. Noch bevor sie Luis berührte, ging Sandro wieder in Deckung hinter dem Busch.
    Luis fuhr herum. Er erschrak, starrte Inés an.
    Und auch sie erschrak, zuckte zurück.
    »Woher kommst du?«, fragte Luis. »Was machst du hier? Du bist doch die Irre, die zur Hure gehört. Wo verbergt ihr euch? Bleib stehen.«
    Inés blieb nicht stehen. Sie rannte fort. Sie hatte nicht Luis erwartet, sondern ihn, Sandro. Sie

Weitere Kostenlose Bücher