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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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vielleicht fünfzehn, sechzehn Jahre alt.«
    Sandro wollte soeben sein Erstaunen zum Ausdruck bringen, als Luis das Wort ergriff. »Da hat dir jemand einen Streich gespielt, mein Sohn, und du hast dich narren lassen. Nun führe uns in das Quartier des Bischofs, damit wir nicht länger unnütz hier herumstehen. Geh vor. Nun geh schon.«
    Bruder Lippi blickte unsicher von Luis zu Sandro. Erst als Sandro durch ein kaum erkennbares Nicken seine Genehmigung erteilt hatte, wandte der Franziskaner sich auf dem Absatz herum und ging mit großen Schritten voraus. Quietschend öffnete er die Eingangspforte, und sie traten in einen tunnelartigen Gang, wo ihre Schritte und das Geräusch rieselnden Wassers von den Wänden widerhallten. Mehrere kleine Türen rechts und links führten zu Versorgungsräumen und der Küche, die Tür am Ende des Ganges öffnete sich zu einer Treppe in das obere Geschoss. Es war stockfinster, nirgends brannte ein Fackel, auch oben nicht. Lippi stieß eine schwere Tür auf, die zu den Gemächern des Bischofs führte: zwei große Räume, durch mehrere kleine Zimmer verbunden. Die Fenster waren mit schwarzem Stoff verhängt, den Bruder Lippi entfernte. Graues, kaltes Nordlicht vertrieb die Dunkelheit ein wenig.
    Das erste Zimmer wurde wohl als Empfangssaal benutzt, denn es war unpersönlich und aufgeräumt. Ein prunkvoller, mit bischofsrotem Samt bezogener Sessel stand in der Mitte des Raumes, sechs kleinere Sessel gruppierten sich vor ihm in einem Halbkreis.
    »Was hat dies hier zu bedeuten?«, fragte Luis – wie Sandro fand – unnötig streng.
    »Die Stühle, meint Ihr? Bischof Bertani hatte gestern zu einer Besprechung geladen.«
    »Zu einer Besprechung geladen, ehrwürdiger Vater «, korrigierte Luis. »Wer war bei dieser Besprechung mit Bertani anwesend?«
    »Vier Äbte seiner Diözese, ein Kanoniker sowie der Leiter der Laienschule aus Verona.« Lippi schwieg einen Moment, dann fügte er, wieder mit einem Seitenblick auf Sandro, vorsichtig hinzu: »Ehrwürdiger Vater.«
    »Worum ging es?«
    »Wenn ich es richtig verstanden habe, las Seine Exzellenz den anderen die Rede vor, die er auf dem Konzil zu halten gedachte.«
    »Wo ist diese Rede jetzt?«
    Der Diener wies auf einen Schreibtisch, der einmal hübsch gewesen war und nun seine Tage in einer düsteren Ecke eines mittelmäßigen Quartiers fristete.
    Sandro ging auf den Schreibtisch zu, wurde jedoch von Luis überholt, der drei Schubladen aufriss und in der dritten Lade fand, wonach er suchte. Hastig überflog er die Seiten.
    »Ha! Typisch Bertani! Ganz im Stile eines Jahrmarktpaukers. Einfach draufhauen und auf sich aufmerksam machen. Ohne Raffinesse, ohne Feingefühl.«
    Sandro fand es auch nicht gerade feinfühlig, über einen Toten in dessen Quartier und vor dessen Diener herzuziehen. »Darf ich die Rede lesen, bitte?«, fragte er und streckte die Hand aus, um die Papiere in Empfang zu nehmen. Aber Luis ging an Sandro vorbei, ohne ihn zu beachten.
    »Hat dein Herr noch andere Aufbewahrungsorte für seine Papiere?«
    »Nicht dass ich wüsste, ehrwürdiger …«
    »Und welcher Stimmung war er gestern?«
    »Stimmung?«
    »War er euphorisch, war er nachdenklich, trübsinnig, aufgeregt, gelassen? Was ist so schwierig an meiner Frage?«
    »Nichts, Vater, ich weiß nur nicht … Er war eigentlich wie immer.«
    »Und wie war er immer?«
    »Nun, das wisst Ihr doch. Er war Euch bekannt.«
    Luis’ Augen flackerten. »Was redest du denn da?«
    »Ihr sagtet eben: typisch Bertani«, rief Oreste Lippi trotzig und bekam einen starren Blick. »Daher glaubte ich …«
    »Falsch«, rief Luis lauter, als nötig gewesen wäre, und Lippi zuckte zusammen. »Ich kannte seine Reden, nicht ihn persönlich. Also? Welcher Stimmung war er?«
    »Er war – er war …«
    »Rede! Was war er?«
    »Guter Dinge. Er glaubte fest an die Kirchenreform, immerzu sprach er davon, auch gestern. Der große Tag naht, sagte er.«
    Luis zog eine Augenbraue höher. »Mit dir hat er über solche Dinge diskutiert?«
    »Nun, nicht direkt diskutiert. Er hat etwas gesagt, und ich habe zugehört. Er hat alle Menschen gleich behandelt und auf niemanden herabgesehen.«
    Diesen letzten Satz hatte Oreste Lippi mit einer leicht gereizten Intonation versehen, die dem Ohr eines Rhetorikers unmöglich entgehen konnte.
    Sandro bat erneut um die Rede, aber Luis hatte jetzt nur noch Augen und Ohren für sein Gegenüber.
    »Wo warst du letzte Nacht?«, fragte Luis.
    »Ich war hier, Vater, im

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