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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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sehr schöne und warme, aber irgendwie auch unwirkliche Zeit zwischen Daunenkissen. Beatrice war seine letzte Geliebte, vielleicht auch seine wichtigste. Wenige Wochen nachdem Matthias in sein Leben getreten war, war Sandro zu den Jesuiten gegangen, fest entschlossen, alle Gelübde einzuhalten und ein anderes Leben zu führen.
    Sein Noviziat verbrachte er bei den Armen, Blinden und Sterbenden. Er wusch die Siechen, hielt ihnen die Hände in ihrer letzten Stunde, übernahm die Totenwache, schaufelte ihr Grab. Morgens leerte er die Nachttöpfe, mittags gab er den Hungernden etwas zu essen, und abends scheuerte er die Böden des Spitals. Er lernte, Wunden zu versorgen, eitrige Geschwüre aufzustechen und Ungeziefer vom Körper der Kranken zu entfernen. Jemals Ekel zu empfinden, verbot er sich. Er war Jesuit geworden, um ein Verbrechen zu sühnen, um sein Leben anderen zu widmen. Nur die Jesuiten – und die Theatiner – nahmen sich derer an, die von allen Menschen verlassen waren, aber nicht von Gott.
    Luis kannte er zu jener Zeit nur vom Sehen. Er war aus Spanien gekommen und hatte bereits die »Ersten Gelübde« der apostolischen Armut, der Ehelosigkeit und des Ordensgehorsams sowie das »Letzte Gelübde« des unbedingten Papstgehorsams abgelegt. Der Vater Provinzial des Kollegs in Neapel war hocherfreut, Luis für sich gewonnen zu haben, denn der äußerlich unscheinbare Mann hatte eine auffällige Begabung: Er jonglierte mit Worten wie ein Akrobat, schickte sie zum Angriff wie ein Feldherr und parierte mühelos Attacken, die den kühnsten Fechtmeister hätten erblassen lassen, kurz, er war ein phänomenaler Rhetoriker. Er gab provokante Thesen zum Besten, die nicht wenige Mitbrüder erschreckten, aber er vermochte jede einzelne dieser Thesen so trefflich zu begründen, dass ihm am Ende keiner mehr widersprach. Schließlich wurde auch Ignatius von Loyola, der große Ordensgründer der Jesuiten, auf ihn aufmerksam, und fortan vertrat Luis die Jesuiten bei Disputen mit anderen Orden, bei Synoden oder bei Versammlungen in Rom. Sobald Luis in einer Kanzel stand, war es, als würde sich irgendeine Stimme seines hageren Körpers bemächtigen und ihn mit sich in die Höhe tragen. Er war dann unschlagbar.
    Unter den Mitbrüdern jedoch war er unbeliebt. Er arbeitete nicht im Spital, sondern verbrachte die meiste Zeit im Skriptorium oder auf Reisen. Diese bevorzugte Stellung – und vor allem seine Begabung – brachten ihm zahlreiche Feinde unter den Mitbrüdern ein, die nicht gerne aus jeder Diskussion als Verlierer hervorgingen und ihm hinter vorgehaltener Hand Arroganz vorwarfen.
    Als Sandro einmal mitten in der Nacht ins Skriptorium ging, um einem Kranken am nächsten Tag aus einem bestimmten Buch vorzulesen, begegnete er Luis. Sie waren allein. Da saß dieser hagere Mann, die Augen vor Anstrengung gerötet, trotz seiner kaum dreißig Jahre vorzeitig gealtert, und arbeitete, als alle anderen sich Ruhe gönnten. Sie sprachen die ganze Nacht miteinander, und als Sandro morgens aufbrach und sich auf den Weg ins Spital machte, bewunderte er an Luis alles, was seine Mitbrüder an ihm ablehnten: das Talent und die Hartnäckigkeit und die Selbstsicherheit. Auch die Siege, die er in Disputen davontrug. Luis war ein erfolgreicher Mensch, und Sandro hing an seinen Lippen.
    Wenige Tage danach fragte man Sandro, ob er der Assistent von Luis de Soto werden wolle, allerdings nur an vier Tagen in der Woche, in der übrigen Zeit brauche man ihn im Spital. Sandro willigte begeistert ein.
    Je bedeutender die Aufträge für Luis wurden, desto anspruchsvoller wurden auch Sandros Aufgaben. Er trug alle benötigten Hintergrundfakten zu einem Thema zusammen, erstellte Exposés, recherchierte Präzedenzfälle … Die Bibel, die Apokryphen, griechische Philosophie, Geschichte der frühen Christen, Geschichte der Orden, Bullen der Päpste, Worte und Taten der Heiligen, Konzilsbeschlüsse, Verhältnis zu den Juden und Heiden, Okkultismus … Mit allem musste er sich vertraut machen, und manchmal hatte er dafür nur wenige Tage Zeit. Immer seltener kam er zu den Kranken und Sterbenden, was ihm anfangs Gewissensbisse bereitete. Luis erinnerte ihn jedoch ständig daran, wie wichtig, ja, überragend, die nächste vor ihnen liegende Aufgabe sei.
    Das Konzil sollte die bisher größte und bedeutendste Schlacht werden. Katholiken und Protestanten, die seit einem Vierteljahrhundert getrennten Kirchen, würden über eine Annäherung, eine Wiedervereinigung

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