Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
er unangenehm grinste und eine Geste machte, die klar erkennen ließ, dass er wusste, welches Gewerbe sie ausübte.
    Nach der Beschreibung fand Antonia schnell den Weg. Vor der Tür stand ein Wäschesack, aus dem der Zipfel eines der einfacheren Kleider Carlottas hervorlugte. Antonia klopfte und wartete auf eine Reaktion, und als sie keine Antwort erhielt, klopfte sie noch einmal und nannte ihren Namen.
    Nachdem das Schweigen anhielt, hätte sie umkehren sollen, andererseits war sie neugierig. Carlotta war schon so oft im Atelier gewesen, auch ohne dass Hieronymus oder Antonia anwesend waren. Carlottas Zimmer selbst wäre natürlich uninteressant, ein kleines, muffiges, halbdunkles Quadrat wie die meisten Räume in diesem alten Bauwerk. Was Antonia interessierte, war die persönliche Note, die Carlotta ihrem Quartier zweifellos verliehen hatte: Erinnerungsstücke aus ihrem Leben, ein Amulett vielleicht, ein Kelch mit Gravur oder einige getrocknete Blumen, irgendetwas, das wenigstens ein schmales Licht auf Carlottas Vergangenheit werfen würde.
    Im Grunde erwartete Antonia ohnehin, dass die Tür verschlossen war, und als sie bemerkte, dass die Tür sich öffnen ließ, schrak sie im ersten Moment zurück. Doch da war es bereits passiert: Sie hatte die Gestalt, die auf dem Stuhl saß, gesehen.
    »O Verzeihung«, sagte sie, »ich dachte, hier ist das Quartier von Carlotta da Rimini.«
    Die junge Frau reagierte nicht. Wie eine Puppe saß sie am Fenster und starrte hinaus.
    Antonia erkannte in dem Kleid, das zum Lüften über das breite Bett gelegt worden war, eines von Carlottas schönsten Stücken. Dies hier musste ihr Quartier sein. Doch wer war die Frau am Fenster? Und warum saß sie da wie tot? Womöglich, dachte Antonia, war die Frau taub.
    Antonia ging einige Schritte in den Raum hinein, unbeachtet von der Fremden. Der Spiegeltisch fiel Antonia sofort auf, denn auf ihm standen zahlreiche kleine Tonschalen, Dosen und Töpfe herum, in denen rosa Puder, Lippenrot und andere Schönheitsmittel aufbewahrt waren. Ein prachtvolles Silberetui – gewiss das Geschenk eines früheren Verehrers – hatte die Form eines Vollmonds und war mit orientalischen Intarsien verziert. Ein Duft von Zimt und Zitrus stieg auf, sobald Antonia einen Gegenstand in die Hand nahm. Inmitten der düsteren Trostlosigkeit des Zimmers war dieser Spiegeltisch die einzige bunte Insel.
    Erst jetzt bemerkte Antonia zwei Zeichnungen neben dem Kleid auf dem Bett, die sie an ihren eigenen Stil erinnerten, als sie ungefähr zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen war. Die Konturen waren sehr weich gezeichnet, fast verschwommen, wie Traumbilder eines Mädchens. Das eine Bild zeigte eindeutig Carlotta, etwas jünger als heute, mit fröhlichen, liebevollen Augen und einem lächelnden Mund, schlichter als sie heutzutage wegen ihres Berufes oft aussah, aber ausgesprochen natürlich. Die Person, die dieses Bild gezeichnet hatte, hatte Carlotta innig geliebt, das war unübersehbar. Daneben hing die Skizze eines friedlichen Landschaftspanoramas mit einem Wäldchen und dem Meer im Hintergrund, und mit Hügeln, in deren Mitte eine Kirche oder ein Kloster stand.
    Antonia wandte sich der jungen Frau zu. Hatte sie diese Bilder gezeichnet? Sie war ihr jetzt so nahe, dass die Fremde, selbst wenn sie taub sein sollte, Antonia bemerken müsste. Doch nichts geschah, auch nicht, als Antonia sie am Arm berührte und neben ihr niederkniete. Antonia musterte ihr Profil. Die junge Frau war wohl nie im klassischen Sinne schön gewesen – dafür waren ihre Gesichtszüge zu kantig -, und falls es je etwas Freundliches, Herzliches, Lebendiges in ihr gegeben hatte, so war es erloschen. Blass und starr, blickte die junge Frau vor sich hin, und nur gelegentliche Lidschläge und das kaum sichtbare Heben und Senken der Brust waren Zeichen dafür, dass noch Leben in ihr war. Es war unmöglich, kein Mitleid für sie zu empfinden.
    Der einzige Schmuck, die einzige Zierde an ihr, war ein Rosenkranz um ihren Hals. Er war aus dem rötlichen Holz des Kirschbaums gefertigt und hob sich auffällig von der blassen Haut ab. Bei genauerem Hinsehen bemerkte Antonia ein Plättchen zwischen den Kugeln, und darauf befand sich eine winzige Inschrift, nicht mehr als drei oder vier Buchstaben. Manche Rosenkränze, erinnerte Antonia sich, trugen den Namen des Gebers. Sie erkannte ein S als Anfangsbuchstabe, aber um auch die anderen eingekerbten Buchstaben lesen zu können, musste sie den Rosenkranz bewegen.

Weitere Kostenlose Bücher