Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
gerade in Trient ein«, erklärte Sandro. »Ein Sohn des Papstes stachelt die Neugier von weit mehr Menschen an, als der Heilige Vater in Person.«
Sie ging zum Fenster, hörte, wie er atmete, und spürte seinen Blick auf ihrem Nacken.
Dann räusperte er sich. »Das Requiem für Salvatore Bertani wird gleich zelebriert, und ich denke, ich werde daran teilnehmen. Ich könnte dafür sorgen, dass man auch Euch einlässt.«
Seine etwas unbeholfene Einladung amüsierte sie. »Originell! Man hat mich noch nie zu einer Totenmesse eingeladen.«
»Das war auch keine Einladung.«
»Dann klang es wohl nur so.«
»Ich dachte, Ihr wollt vielleicht Eure Fenster während einer Messe erleben.«
Aus irgendeinem Grund musste sie plötzlich an Matthias denken. Nun, wo er zurückgekehrt war, war es unmöglich und unnötig, sich mit anderen Männern einzulassen. »Vielleicht ein andermal«, sagte sie, was ihr ziemlich blöde vorkam, da man hier nicht über einen Spaziergang sprach, sondern über die Teilnahme an einer Totenmesse. Scherzhaft fügte sie hinzu: »Ich fürchte, in meinem Zustand könnte man mich für eine Tote halten. Ich bleibe lieber hier.«
Sie verabschiedeten sich kurz und zurückhaltend voneinander. Als er gegangen war, trat Antonia wieder ans Fenster und blickte, die vorübereilenden Bürger kaum beachtend, auf die Gasse. Sandro tauchte dort unten kurz in ihrem Blickfeld auf. Sie lächelte, ohne zu wissen, worüber.
Als Antonia ihn nicht mehr sah und begriff, dass sie allein war, fühlte sie sich unbehaglich. Sie sah die junge Frau wieder vor sich. War sie tatsächlich von ihr angegriffen worden? Oder war es nicht vielmehr so, dass die Fremde wie jemand gewirkt hatte, der sich verteidigte?
Aus der Distanz zu morden war keine große Sache. Einen Krieg erklären, eine Hinrichtung anordnen, eine Kanone abfeuern: saubere Grausamkeiten, die einem die brutale Wirklichkeit ersparten. Weit vom Geschehen entfernt waren die Dinge kleiner, unbedeutender, und wegzusehen war dann leicht. Etwas anderes war es, den Dolch mit eigener Hand in den Rücken des Opfers zu stoßen, den Widerstand der Knochen zu spüren, den Aufschrei zu hören, das Blut zu sehen. Der Tod war eine hässliche Sache, und je näher man ihm kam, desto erschreckender wurde er. Carlotta war im Begriff, einen Mord zu begehen – näher konnte man dem Tod nicht sein.
Der Domplatz war bevölkert von Neugierigen, die den Sohn des Papstes sehen wollten: Innocento del Monte. Tausend Gerüchte waren über ihn im Umlauf, und nichts macht einen Menschen interessanter als Gerüchte. Vor einigen Jahren noch war Innocento ein Niemand gewesen, der Sohn einer schönen und armen Frau, die – so sagte man – vor langer Zeit die Geliebte des Kurialjuristen Giovanni Maria del Monte gewesen war, des heutigen Papstes Julius III. Vor vier Jahren, in seiner Zeit als Kardinal, hatte Giovanni Maria den jungen Mann von der Straße geholt und zu seinem Affenwärter gemacht. Ja, Affenwärter, denn del Monte hielt diese exotischen Tiere in Käfigen. Kaum zum Papst gewählt, beförderte der frisch gekürte Julius III. den achtzehnjährigen Innocento im Schnellverfahren zum Kardinal.
Nichts regte die Fantasie der Menschen mehr an als ein illegitimer Sohn des Stellvertreters Christi auf Erden, ein junger Mann, der aus dem dreckigsten Armenviertel Roms in den Vatikan geholt worden war. Unter allen Delegierten des Konzils war er der Beliebteste und Prominenteste, berühmter sogar als der Vorsitzende des Konzils, der päpstliche Legat Kardinal Marcello Crescenzio. Beliebt allerdings nur beim Volk – die Vornehmen verachteten den Aufsteiger.
Die Trienter waren in Richtung des Domplatzes geströmt. Es waren sogar Abordnungen der Zünfte und Gilden angetreten (vermutlich nicht für Innocento, sondern für Bertani, aber das ging völlig unter). Weber, Kürschner, Zimmerleute, Kleinschmiede, Fleischer, Weinhändler, Riemenschneider, Bäcker, Lederer, Ölhändler, Trödler, Schuster, Geldwechsler, Notare, Apotheker, Wirte, Gärtner, Flussschiffer, Müller und Lastträger standen, wie zu einer Parade aufgereiht, vor dem Dom und sahen staunend zu, wie die vielen Menschen die Absperrungen durchbrachen.
Eigentlich hatte Carlotta nur einen Morgenspaziergang machen wollen, aber der Menschenauflauf war ihr aufgefallen, und als sie erfahren hatte, wen die Leute erwarteten, sah sie ihre Gelegenheit gekommen. Glücklicherweise hatte sie den Dolch mitgenommen, weniger weil sie auf eine Fügung
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