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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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durchbohrt, ehrwürdiger Vater, er erstickte an seinem Blut. Die Stichwunde stammt von einem kleinen Dolch, eher schon ein Stilett, lang und dünn. Die Waffe einer Frau, würde ich sagen.«
    Diese Vermutung hatte auch Sandro gleich gehabt, als er die Wunde gesehen hatte, aber er musste jede Spekulation im Keim ersticken.
    »Oder eines Mannes, der wollte, dass es wie die Tat einer Frau aussieht. Oder eines Menschen, der in Panik handelte und den nächstbesten Gegenstand griff, vielleicht einen Siegelöffner oder einen kosmetischen Gegenstand.«
    Der Arzt schluckte. »Vielleicht, ja, Ihr habt zweifellos recht«, sagte er und ließ Bertanis Schulter los, um sich die Stirn abzutupfen.
    Entweder, dachte Sandro, war der Arzt immer so nervös – was bei einem erfahrenen Medicus wie ihm wenig wahrscheinlich war -, oder ihm flößte die Begegnung mit einem Beauftragten des Papstes Ehrfurcht ein. Sandro erinnerte sich der tiefen Verbeugung von Oreste Lippi und dem kurzen Aufschrecken, den die Erwähnung seines Titels selbst bei jemandem wie Matthias bewirkt hatte. Ein Visitator war – ähnlich einem Inquisitor – mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, und Sandro wurde sich erst langsam bewusst, wie das auf andere Menschen wirken musste. Er war jetzt kein einfacher Mönch mehr. Vielmehr war er von nun an eine Art Erzengel, der Angst einflößte und bei dem man froh war, wenn er spurlos an einem vorüberzog.
    »Wenn Ihr die Schulter bitte noch einmal anheben würdet«, sagte er.
    Der Arzt stopfte das Schweißtuch eilig in die Tasche. »Sofort, ehrwürdiger Vater.«
    Oberhalb der Stichwunde, fast schon im Nackenbereich, war etwas aufgemalt, nein, eingeritzt, so als ob der Mörder eine Botschaft hinterlassen oder etwas demonstrieren wollte.
    Sandro hielt sich ein Tuch vor die Nase und beugte sich zu dem Toten vor. Das war kein Buchstabe, es war ein Symbol, ein Zeichen, ein Art Dreieck, das auf den nach unten verlaufenden Linien leicht nach außen gebogen war. Es sah aus wie ein …
    »Ein Schild«, sagte ein Jüngling. Er war, von Sandro unbemerkt, neben ihn getreten: Ein dicklicher, unfrisierter Bursche, dem die Kindheit noch ein wenig anhaftete, fünfzehn, vielleicht sechzehn Jahre alt, mit vollen Lippen und dem Ausdruck von Besserwisserei. Er schob irgendeine krümelige Teigware von einer Backe in die andere.
    »Mein Neffe«, erklärte der Arzt beunruhigt. »Seit einigen Monaten geht er mir zur Hand, mal hier und mal da. Ich brauchte jemanden, der mir mit der Leiche des Bischofs hilft, und da habe ich … Der Fürstbischof hat zugestimmt, er meinte sogar, Ihr könntet auch jemanden gebrauchen, der kleinere Aufträge für Euch erledigt, Botengänge, vielleicht, oder …«
    »Schon gut«, beruhigte Sandro den Arzt. »Ich habe nichts dagegen, dass Euer Neffe hilft.«
    »Wäre es zu viel verlangt«, fragte der Junge frech, »wenn die Herren nicht reden würden, als sei ich überhaupt nicht da?«
    »Aaron!« Sein Onkel stöhnte auf. »Verzeiht, ehrwürdiger Vater, der Junge nimmt sich oft zu viel heraus, niemand weiß, woher er das hat. Aber er ist tüchtig und …«
    »Ich habe den Schild bereits gezeichnet«, unterbrach der Junge seinen Onkel. »Hier bitte, war nichts Besonderes. Und außerdem habe ich dem Diener des Bischofs eingeschärft, auf Euch zu warten. Er wollte zuerst nicht, aber dann habe ich ihm gesagt, ich sei Euer Assistent.«
    »Du warst das also! Ich habe schon mit ihm gesprochen.«
    Sandro verglich die Zeichnung des Jungen mit der auf der Haut des Toten – sie stimmte überein. Ein Schild, tatsächlich nichts anderes als ein Schild.
    »Das hast du alles gut gemacht«, sagte er und schaute dem Jungen in die selbstbewussten, forschen, dunklen Augen. »Aber künftig wirst du warten, bis ich dich um etwas bitte.«
    »Aber ich …«
    »Du heißt Aaron?«
    »Das hat mein Onkel doch bereits gesagt.«
    »Aaron, du bist Jude?«
    »Wie scharfsinnig kombiniert!«
    Dem Arzt stockte der Atem, aber Sandro ignorierte die forsche Bemerkung. »Aaron, hör zu. Ich will keinen Hofstaat um mich herum errichten. Ich habe keine Köche, keine Knechte, keine Minister und keine Assistenten. Du wirst mich weder mit ›Euer Gnaden‹ noch mit ›ehrwürdiger Vater‹ ansprechen. Für dich bin ich Bruder Carissimi, und du bist Aaron. Wenn ich deine Unterstützung brauche, was ganz bestimmt passieren wird, werde ich dir das sagen. Hast du alles verstanden?«
    »Man müsste schon sehr dumm sein, um das nicht zu verstehen.«
    Sandro

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