Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
sobald er jedoch den Raum wieder verließ, sprachen sie über das, was sie in den vergangenen zwölf Jahren gemacht hatten. Matthias hörte interessiert zu, und durch geschickte Fragen gelang es ihm, das Thema Glasmalerei zu umgehen, denn darüber sprach er sehr ungern, und es tat ihm weh, wenn er sah, dass Antonia noch immer so viel Begeisterung für dieses Handwerk aufbrachte. Er fragte Antonia lieber nach den Städten, in denen sie gewesen, und den Menschen, denen sie begegnet war, er ließ sich von der Gesundheit ihres Vaters erzählen und den Mühen langer Reisen. Er seinerseits berichtete von seinen Anfängen in der Ulmer Stadtbehörde, von seinem Aufstieg in die württembergische Staatskanzlei bis hin zu seiner Beförderung zum Berater und Gesandten des Herzogs. Viertausend Tage des Strebens und Arbeitens wurden zu einer Stunde zusammengefasst, wurden zerhackt und zu kleinen Portionen geknetet wie die Fleischkuchen auf dem Teller.
Die ganze Zeit über war er sich bewusst, dass er ein Thema nicht würde vermeiden können, nämlich den Grund für das zu nennen, was vor zwölf Jahren geschehen war. Und eigentlich wollte er es auch nicht vermeiden. Dieses Thema zu berühren würde ihn nicht nur einen großen Schritt in seinem Vorhaben weiterbringen, sondern es würde auch etwas Befreiendes haben. Noch nie, auch nicht bei seiner ersten Frau, hatte er mit einem Menschen über das gesprochen, was in seiner Kindheit geschehen war, über seine Mutter. Jetzt, vor Antonia, traute er sich, musste sich trauen.
Er tupfte sich die Lippen mit einem Tuch ab. »Hast du eine Ahnung, was damals geschehen ist, nach dem Tod meines Vaters und deiner Mutter?«
Sie schluckte, überrascht von seiner Frage, hastig einen Bissen hinunter.
»Dein Vater war gegen uns«, antwortete sie. »Vermutlich hat er dir noch auf dem Sterbebett ins Gewissen geredet, mich nicht zu heiraten. Auch hätte eine Ehe mit einer Katholikin deiner Karriere geschadet, der Karriere, die du ohne mich gemacht hast. Sieh dich an, du bist ein erfolgreicher Diplomat. Ein Konzil ist ja keine Kleinigkeit, man entsendet nicht irgendjemanden dorthin.«
Sie sprach ganz ohne Vorwurf, so als sei er damals einem Gesetz gefolgt. Er hatte sich auf eine Anklage eingestellt, zumindest auf eine Rüge, stattdessen konnte er feststellen, dass sie Wachs in seinen Händen sein würde.
Er lächelte und nippte am Wein. Antonia hatte immer etwas Zerbrechliches und Dankbares an sich gehabt, etwas, das er gefunden hatte und behütete. Als sie beide noch Kinder waren, hatte er auf eine gewisse Weise geglaubt, Antonia gehöre ihm, und auch später war dieses Gefühl – obwohl sie sich verloren hatten – nie völlig von ihm gewichen. Der Diplomat in ihm erkannte sofort, dass sich auch bei ihr daran nichts geändert hatte.
»Mein Vater hat nichts damit zu tun, oder sagen wir besser, wenig. Wusstest du, dass ich mit dem Weihwasser der Römischen Kirche getauft wurde? Nein, wie kannst du das wissen, du warst ja noch lange nicht geboren. Als ich vier Jahre alt war, wandte mein Vater sich von der alten Kirche ab und dem Glauben Martin Luthers zu, dem Glauben, der damals noch jung war. Vater war einer der Ersten in Ulm, die bekehrt wurden, und natürlich fing er an, andere Menschen zu bekehren. Darin war er ausgesprochen erfolgreich, denn er war geachtet, und wortgewaltig noch dazu. Ich kann ihn mir gut vorstellen, wie er durch die Gassen ging und die Frauen, die mit einem Korb unter dem Arm vom Markt kamen, in ein Gespräch verwickelte. Spiritualität war seine Sache nicht, er argumentierte stets überaus praktisch, und das kam an. Zu den Wenigen, die er nicht überzeugen konnte, gehörte ausgerechnet seine Frau. Meine Mutter.«
Erneut schluckte sie hastig einen Bissen hinunter. »Ich glaubte, deine Mutter sei früh gestorben.«
»Nicht ganz«, erwiderte er, absichtlich wenig eindeutig. Er mochte es, wenn die Menschen an seinen Lippen hingen und das Ende einer Geschichte nicht erwarten konnten. »Ich sehe eine Frau vor mir, etwas verschwommen, wie die Spiegelung in einem Teich. Sie ist – sie war immer ein wenig nervös. Wenn ihre geschickten Finger sich gerade nicht mit dem Rosenkranz beschäftigten, machten sie sich über einen Stoff her, der geflickt oder bestickt werden musste. Sie war oft unfreundlich zur Dienerschaft, nicht aus Bosheit, sondern weil sie gereizt war. Sie stritt häufig mit meinem Vater. Damals verstand ich nichts davon, aber später, viel später, begriff ich, dass
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