Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
labil, wankelmütig. Ich kann nicht glauben, dass Ihr das nicht auch bemerkt habt. Darum ein Vorschlag zur Güte: Ihr lasst Matthias jetzt gleich frei, und im Gegenzug wird dieser Euch nicht öffentlich beschuldigen. Ein Missverständnis, werdet Ihr sagen, und dass Matthias nur als Zeuge und nicht als Beschuldigter befragt wurde. Matthias wird das bestätigen und außerdem erklären, er sei äußerst zuvorkommend behandelt worden. Damit ist Euch und ihm gleichermaßen geholfen, und niemand hat Schaden genommen. Ich bin sicher, dass sich eine andere Spur zum Mörder finden wird. Der Schild, zum Beispiel. Ich habe wegen des Schildes einem der berühmtesten Glasmaler geschrieben, ein Meister seines Fachs und ein wandelndes Lexikon dazu. Er hält sich zurzeit in Turin auf, so dass ich gewiss bald Nachricht über die Bedeutung des Symbols bekomme.«
»Schild?«, fragte Matthias und zog die Augenbrauen zusammen. »Heißt das, er hat dich in seine Ermittlungen hineingezogen? Ihr arbeitet zusammen?«
Antonia zögerte kurz mit der Antwort. »Das ist zu viel gesagt, Matthias. Bruder Carissimi hat mich zurate gezogen.«
»Er hätte auch deinen Vater zurate ziehen können.«
»Hat er aber nicht.«
»Die Frage ist, warum.«
»Das ist doch jetzt völlig unwichtig«, entgegnete sie und bemerkte den feindseligen Blick, den Matthias seinem Halbbruder zuwarf. »Wichtig ist, dass Bruder Carissimi über meinen Vorschlag nachdenkt. Je eher dieses Verhör endet, umso besser für uns alle und umso schlechter für den Mörder.«
Sandro lief ein paar mal im Kreis um den Tisch herum, mit gesenktem Kopf und die Finger nervös ineinander verschlungen. Er brauchte jetzt nur Antonias Vorschlag anzunehmen, um alles wieder ins Lot zu bringen, doch etwas in ihm wehrte sich dagegen. Vielleicht hätte das Konzil die Version, die Antonia vorschlug, geglaubt, aber sie drei hier hätten die Wahrheit gewusst, und die Wahrheit wäre, dass Sandro auf- und nachgegeben hatte. Wieder einmal hätte er verloren.
Er beugte sich über den Tisch, stützte sich auf der Platte ab und fixierte seinen Halbbruder.
»Ich lasse dich nicht gehen, eher gehe ich vor die Hunde. Du warst in der Nacht von Bertanis Tod in Trient. Keiner hat es mitbekommen. Du hast deinen Diener getäuscht und auch deinen Wirt. Es gibt keine intakte Stadtmauer, so dass du dein Pferd irgendwo angebunden hast und in die Stadt geschlichen bist. Und dann bist du zu Bertani gegangen.«
»Er kann es nicht lassen«, sagte Matthias.
»Du kennst die Italiener nicht«, fuhr Sandro fort. »Sie gucken liebend gerne vom Fenster aus auf die Gassen herunter. Das tun sie ständig. Sie streiten sich nachts, und einer von ihnen kühlt sein Gemüt am Fenster ab. Sie lieben sich nachts, und einer von ihnen geht danach zum Fenster und atmet tief durch. Sie können nicht schlafen und lenken sich am Fenster ab. Ich finde jemanden, der dich erkannt hat, Matthias, jemanden außer Bruno, jemanden, der nicht trinkt. Irgendein Schlafloser hat eine Gestalt gesehen, die den gleichen Umhang trug, wie Bruno Bolco ihn beschrieben hat. Irgendeiner hat dein Gesicht gesehen, irgendwo in der Stadt, so wahr ich hier stehe, und dann, Matthias, steckst du in großen Schwierigkeiten, weil du den Visitator des Papstes angelogen hast. Dann gnade dir Gott.«
Der Wind rüttelte wütend am Fensterladen, und die Luft bebte vom Donner. Trotzdem herrschte im Raum Friedhofsstille.
Matthias griff sich an den Hals und knetete die Haut zwischen seinen Fingerspitzen.
»Also gut«, sagte er. »Ich war dort. Ich war bei Bertani.«
Sandro schloss die Augen. Erleichtert setzte er sich, zum ersten Mal seit Beginn des Verhörs. Er hatte hoch gespielt – und gewonnen. Zum ersten Mal gewonnen.
»Weiter«, sagte er.
Matthias sah nicht ihn, sondern Antonia an. »Mein Besuch hatte – diplomatische Gründe. Es ist durchaus üblich, dass man Würdenträger zu einer Stunde aufsucht, die weniger – öffentlich ist. Ich wollte mit Bertani reden, mich mit ihm beraten.«
»Was beraten?«, fragte Sandro.
»Unsere gemeinsame Vorgehensweise, natürlich. Er wollte die Reform, ich wollte die Reform. Es galt, uns abzustimmen.«
»Geheimverhandlungen also, mit dem Ziel, das Konzil zu hintergehen.«
»Was willst du mir vorwerfen? Wir haben nichts Verbotenes getan! Ich wäre ein miserabler Gesandter, wenn ich nicht jede Unterstützung, die sich mir bietet, ergreifen würde. Bertani wollte auf die Protestanten zugehen, er war mein natürlicher
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