Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
Gottes Gnade haben mich gerettet.«
Matthias grinste. »Wieder einmal war Sandro besiegt. Denn das ist seine Natur: besiegt zu werden.«
»Ich wünschte«, flüsterte Sandro, »ich wünschte, du wärst damals gestorben.«
»Bin ich aber nicht. Und darum ist es mir auch ein Vergnügen, dir die nächste Niederlage beizubringen. Ich kann nämlich gar nicht der Mörder gewesen sein. Und warum? Weil ich nicht der Letzte war, der Bertani lebend gesehen hat. Als ich ihn besuchte, hatte er eine Frau bei sich. Ich betrat sein Quartier, ohne dass Bertani es bemerkte. Ich hatte zwar geklopft, aber niemand hatte geöffnet. Bevor ich mich bemerkbar machte und Bertani ins Empfangszimmer kam, hatte ich einen Blick in sein Schlafgemach geworfen, und da war diese Frau, zweifellos eine Konkubine. Sie war noch da, als ich ging.«
»Warum hast du mir das nicht gleich erzählt?«
»Das Beste hebe ich mir immer bis zum Schluss auf«, erwiderte Matthias gallig.
»Dann habe ich eine schlechte Nachricht für dich«, passte Sandro sich wiederum seinem Tonfall an. »Was du behauptest, kann jeder behaupten, das entlastet dich nicht. Solange die Frau nicht identifiziert ist …«
»Aber ich kann sie identifizieren«, sagte Matthias und grinste so kurz und fein, dass nur Sandro die Genugtuung darin sehen konnte. Dann machte Matthias ein betrübtes Gesicht, wandte sich Antonia zu und drückte ihre Hand an sich. »Verzeih, Liebste, wenn ich das jetzt sagen muss, aber die Frau, die ich bei Bischof Bertani gesehen habe, ist dieselbe, die an dem Tag, als ich dich in deinem Atelier besuchte, mit deinem Vater Arm in Arm spazieren gegangen ist.«
11
Drei Tage. Falls es ganz schlimm käme, hätte Sandro nur noch drei Tage Zeit, seinen Auftrag zu erfüllen. Was danach mit ihm passieren würde, war unkalkulierbar.
Er befand sich mit dem Hauptmann der Wache und vier Wachsoldaten auf dem Weg zum Palazzo Rosato, um dort die Konkubine zu befragen. Kaum zehn Schritte hinter ihm folgten Matthias und Antonia, Schulter an Schulter. So als würde die Wirkung eines Giftes abnehmen, kehrte Sandros Fähigkeit zum klaren Denken wieder zurück, und ihm wurde langsam bewusst, in welcher Lage er sich befand. Er hatte sich hinreißen lassen, war neidisch gewesen. Zu sehen, wie Matthias beklatscht, bewundert, mit Hochachtung bedacht und angehimmelt wurde, hatte ihn blind gemacht für das, was offensichtlich gewesen war. Der eingeritzte Schild, der fehlende Ring, schließlich das unklare Motiv: Nichts anderes außer der Beobachtung von Bruno Bolco hatte auf Matthias als Mörder hingedeutet. Es hätte genügt, ihn unauffällig zu befragen, und niemand hätte sich darüber aufgeregt. Stattdessen hatte Sandro sich zugunsten eines kurzen Augenblicks des Triumphs über seinen Halbbruder in üble Bedrängnis gebracht. Das Konzil war in Aufregung, der Kaiser würde darüber erzürnt sein, man würde die Jesuiten der absichtlichen Sabotage des Konzils verdächtigen und hinter den Jesuiten den Papst höchstpersönlich als Unruhestifter vermuten, was diesen wiederum alles andere als erfreuen würde.
Eineinhalb Tage benötigten die Nachrichtenkuriere mit frischen Pferden von Trient nach Rom und noch einmal eineinhalb Tage für den Rückweg. Nach drei Tagen konnte alles passieren. Der Papst konnte Sandro gewähren lassen – das war die unwahrscheinlichste Variante – oder ermahnen oder absetzen oder äußerst höflich und mit Eskorte nach Rom zitieren, wo sich Sandros Spur verlieren würde. Julius III. galt als launisch, er verdammte, lobte oder begnadigte unberechenbar.
Drei Tage.
Drei Tage, um einen Mord aufzuklären, ein Konzil zu beruhigen, einen Papst zufriedenzustellen. Drei Tage, um endlich einmal etwas richtig zu machen, etwas Eigenes, etwas, das allein ihm gehörte. Denn Matthias hatte die Wahrheit gesagt – Sandro war kein erfolgreicher Mensch, auf keinem Gebiet. Alles, was er bekommen hatte, war ihm zugefallen: der angesehene Name Carissimi, das Geld, die Liebe der Eltern. Sogar um die Frauen hatte er sich nicht bemühen müssen; sein Erscheinen bei einer Feier oder Gesellschaft genügte, und schon ruhten die Blicke bezaubernder junger Damen auf ihm. Seine Freunde, mit denen er die Zeit vertrödelte, waren wie er: jeder Aufgabe und Verantwortung wichen sie aus, jedem Risiko gingen sie aus dem Weg. Da es keine Herausforderungen gab, gab es auch keine Erfolge – und keine Niederlagen. Bis Matthias kam. Dann gab es immer noch keine Erfolge – aber Niederlagen.
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