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Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin

Titel: Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Hand wie seinem Vater, dem Geldwechsler, und seiner Mutter, die in jeder freien Stunde in einem Armen- und Sterbehaus half. Dadurch war er ein aufmerksamer Beobachter der Menschen geworden, denn nirgendwo ließen sich Menschen besser studieren, als wenn es um ihre Gesundheit, ihren Geldbeutel und ihren Tod ging.
    Er versicherte sich, dass niemand ihn beim Lauschen beobachtete, und obwohl mehrere Menschen sich im Gang befanden, musste er dergleichen nicht befürchten. Die Wachen hatten sich einige Meter weiter auf den Boden gesetzt und waren in ihr Würfelspiel vertieft. Dieser abgelegene Teil der Stadtkommandantur wurde selten vom Hauptmann inspiziert, und Bruder Sandro war nur ein Mönch, zwei Faktoren, die zu Disziplinlosigkeit bei der vierköpfigen Wachmannschaft führte, die eigentlich vor der Tür hätte stehen müssen. Bruno Bolco wiederum, der rechts von Aaron auf einem Schemel saß, schien aus Stein gemeißelt zu sein. Sein Gesicht war grau, wie mit Asche bedeckt, und nur zwei unheimliche rote Flecken auf den Wangen verrieten, dass noch Blut in ihm floss. Aaron kannte die Symptome, sein Onkel hatte ihm davon erzählt. Bei Menschen wie Bruno wechselten sich Schweißausbrüche, Kälteanfälle, Nervosität, Angst, Zorn und Apathie in unentwegter Folge ab, und wenn Aaron sich nicht sehr täuschte, dann war Bruno zurzeit im Zustand der Apathie – was Aaron noch der liebste von allen Zuständen eines Trinkers war.
    Aaron presste sein Ohr an das Holz.
    »Mich vor allen Würdenträgern abführen zu lassen, wird dich etwas kosten«, rief Matthias Hagen. »Hochmut kommt vor dem Fall.«
    »Ich hatte guten Grund, dich zu arretieren.«
    »So, und welchen?«
    »Du warst bei Salvatore Bertani, in der Stunde, in der er ermordet wurde.«
    »Das ist … Das ist eine ungeheuerliche Unterstellung!«, rief Matthias Hagen. »Ich war ja nicht einmal in Trient, als es passierte.«
    »Das ist mir bekannt. Du warst in einer Herberge westlich der Stadt. Wir haben deinen Diener befragt.«
    Man hörte das Geräusch eines Stuhls, der zurückgestoßen wurde. »Das ist unerhört! Dafür wirst du büßen, Sandro. Ich bin Gesandter des Herzogs von …«
    »Setz dich wieder. Hörst du nicht? Du sollst dich setzen!«
    Aaron staunte über die Schroffheit in Bruder Carissimis Stimme. Bisher war der Visitator zu jedem freundlich oder wenigstens geduldig gewesen, ja, er hatte sogar seine, Aarons, ironische Bemerkungen toleriert und mit Humor hingenommen. Aaron mochte Bruder Carissimi, denn er war uneitel und frei von Vorurteilen gegenüber Juden. Am meisten gefiel Aaron, dass Bruder Sandro manchmal ein klein wenig unbeholfen wirkte, nur gerade so viel, dass es angenehm war. Das gab ihm etwas Menschliches und stand im Gegensatz zum Verhalten vieler anderer Geistlicher, die immer so taten, als würden sie Weisheit, Wahrheit und Wissen jeden Morgen und Abend wie Kräutertee saufen. Jemanden wie Bruder Carissimi dagegen, der sich nicht so wichtig nahm, konnte Aaron respektieren.
    Aber bei aller Sympathie und Achtung für ihn, heute war er ihm auch ein wenig unheimlich. Es lag an dem Ausdruck in seinen Augen, die – seit Matthias Hagen verhaftet worden war – etwas Unbeherrschtes bekommen hatten.
    »Dass du nicht in Trient warst, als Bischof Bertani ermordet wurde, beweist nichts«, sagte Sandro Carissimi scharf. »Du bist zwar erst am nächsten Morgen in Trient eingetroffen, wo du vom Fürstbischof empfangen wurdest, aber es wäre dir ein Leichtes gewesen, in der Nacht davor die Herberge zu verlassen, bis zur Stadt zu reiten, dort abzusteigen und das letzte Stück zu Fuß zurückzulegen.«
    »Theoretisches Geplapper! Ebenso könnte ich behaupten, du habest dich aus deinem Quartier geschlichen und den Bischof ermordet.«
    »Mit dem Unterschied, dass nicht ich vor dem Haus des Bischofs gesehen wurde, sondern du.«
    Eine Pause trat ein. »Wie bitte?«, fragte Matthias Hagen, wobei seine Aggressivität deutlich nachließ. Seine Stimme wurde leise, unsicher, während die von Bruder Carissimi wie ein Fanfarenstoß klang.
    »Du hast richtig gehört, Matthias. Man hat dich wiedererkannt.«
    Aaron richtete sich auf, schlang das letzte Stück Schmalzgebäck hinunter und stellte sich neben Bruno in der Annahme, dass er gleich in den Amtsraum gerufen werden würde. Tatsächlich ging die Tür auf, und Bruder Sandro bat Aaron, den Zeugen hereinzubringen.
    Aaron half Bruno beim Aufstehen und führte ihn. Bruno machte keinen guten Eindruck. Er wankte, obwohl oder

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