Die Glasmalerin - Walz, E: Glasmalerin
wollen wissen, dass der Grund für die Verhaftung ein anderer ist, nämlich, dass seine Rede zu gut war. Der Visitator ist Jesuit, und die Jesuiten sind treue Gefolgsleute des Papstes. Du verstehst?«
Matthias hatte nichts Böses getan, sagte sie sich. Falls man ihm allerdings doch etwas zu Last legen würde, und sei es nur etwas Erfundenes, könnte er nach Rom ausgeliefert werden, wo schon so mancher Gesandter von den päpstlichen Kerkern verschluckt worden war. Es wäre möglich, dass sie ihn nie wiedersehen würde.
Sie begann zu laufen. Dicke Wolken, die ihr vorher nicht aufgefallen waren, ballten sich im Himmel über dem Dom zusammen und verdunkelten die Stadt. Ein paar Tropfen fielen auf das Pflaster. Der Wind schlug ihr in den Rücken, so als wolle er sie antreiben, und das Herbstlaub überholte sie und fegte ihr voraus dem Palazzo Pretorio entgegen. Menschen suchten Schutz in den umliegenden Arkaden, Fensterläden wurden geschlossen. Es wurde einsam auf Antonias Weg. Als sie am Palazzo ankam, ging gerade die Welt über den Bergen unter.
Die Tür des Amtszimmers öffnete sich. Ihr kam ein Junge entgegen, der einen Mann stützte, dessen Augen voller Verzweiflung waren wie die des Judas, bevor er sich erhängte.
Und dann war sie endlich bei Matthias und Sandro. Es kam ihr vor, als betrete sie einen Raum, in dem zwei Hunde an ihren Ketten zerrten, in der Absicht, aufeinander loszugehen.
»Halbbrüder?«
Das Wort ging im Donnerschlag fast unter. Antonia wiederholte: »Halbbrüder? Ihr beide? Dieselbe Mutter?«
Sie setzte sich, Matthias und Sandro standen links und rechts von ihr. Beide Männer so nahe neben sich zu haben, verwirrte Antonia ein wenig.
Ein weiterer Donnerschlag verhallte, niemand bewegte sich, niemand sagte etwas. Der Regen prasselte wie Nägel gegen das Fenster; es wackelte, sprang auf, der Wind drang ein, und endlich löste sich Sandro aus seiner Erstarrung und schloss das Fenster und den Laden. Während er eine Kerze entzündete, suchte sein unsicherer Blick Antonia.
»So ist es«, bestätigte Matthias seine Enthüllung noch einmal und setzte sich auf den Stuhl neben Antonia. »Allein diese Tatsache ist der Grund für meine Verhaftung, sonst nichts. Der kleine Bastard hat es auf mich abgesehen, weil ich nicht die gleiche hohe Meinung von unserer Mutter habe wie er. Wie kann man eine Frau achten, die sich von einem hergelaufenen Römer bespringen lässt?«
Sandro machte einen Schritt auf Matthias zu. »Hör auf, sie zu beleidigen, sonst …«
»Sonst? Sonst machst du das, was du damals gemacht hast?« Matthias sprang auf. »Ich werde dir sagen, was ich dann mit dir mache.«
»Deine Einschüchterungsversuche kannst du dir …«
»Ich dachte«, unterbrach Antonia, »wir sind hier, weil es einen Verdacht gegen Matthias gibt. Einen objektiven Verdacht.«
Sandro strich sich die Haare aus der Stirn. »Er war bei Bertani.«
»Das war ich nicht!«, fuhr Matthias auf.
Antonia beschwichtigte ihn, indem sie ihre Hand auf seine legte. »Wie kommt Ihr zu dieser Behauptung, Bruder Carissimi?«
»Es gibt einen Zeugen.«
»Einen Säufer!«, rief Matthias und verzog den Mund, als sei er auf eine Schnecke getreten. »Einen stinkenden Säufer ohne Geld, der sich eine Belohnung erhofft! Du hast ihn eben gesehen, Antonia. Sag selbst: Ist es korrekt, einer solchen Kreatur mehr Glauben zu schenken als mir? Kein vernünftiger Mensch würde so etwas tun. Aber er hier ist nicht vernünftig. Er ist aggressiv, er hasst mich. Er ist gelb vor Neid, weil meine Rede vor dem Konzil ein Triumph war, und diesen Triumph will er mir versalzen. Außerdem braucht er einen Sündenbock. Irgendjemand muss Bertani schließlich ermordet haben, und diesen Jemand findet unser brillanter Visitator nicht.«
Sandro wollte etwas erwidern, aber Antonia kam ihm zuvor. Mit einer sachten Handbewegung und einem Blinzeln gebot sie ihm Einhalt, und er zögerte nicht, ihr nachzugeben.
»Bruder Carissimi«, begann sie mild, »vielleicht hat Eure – wie soll ich sagen – schlechte Beziehung zu Matthias kurzzeitig Euer Urteilsvermögen getrübt. Könnte es nicht sein, dass Ihr die Aussage des Zeugen für wahr befindet, weil Ihr sie als wahr ansehen wollt ? Ich bin davon überzeugt, dass Ihr den Mann, der Matthias gesehen haben will, zu nichts gedrängt habt …«
»Also ich bin nicht davon überzeugt!«, fuhr Matthias dazwischen.
»… möglicherweise jedoch«, fuhr sie unvermindert fort, »überschätzt Ihr ihn. Auf mich wirkt er
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