Die Glaszauberin pyramiden1
plötzlich wußte ich, was sie alle sagen wollten. »NEIN!«
»Hör mir zu.« Yaqobs Stimme war sehr energisch. »Hör mir gut zu, Tirzah! Das wird die beste Chance sein, die wir je bekommen werden, um herauszufinden, was in dem Kopf dieses Mannes vorgeht. Tirzah, du mußt einfach gehen. Willst du denn niemals von hier entkommen? Willst du niemals frei sein?«
Ich konnte nichts sagen.
»Tirzah, du wirst uns den Schlüssel zu der Macht dieses Mannes verschaffen. Verdammt, wir brauchen diese Chance.«
»Aber ich habe Angst. Ich weiß, daß er mich verdächtigt, eine Elementistin zu sein. Was, wenn das eine Falle ist? Was…«
»Dann mußt du vorsichtig sein, Tirzah. Sage kein Wort zu ihm. Er wird keine Unterhaltung erwarten. Geh auf seine Wünsche ein, hör zu, beobachte. Wir brauchen deine Augen und Ohren in der Nähe dieses Mannes.«
»Yaqob!« Ich lehnte mich zurück und starrte ihn mit tränennassem Gesicht an. »Ist dir das denn völlig egal? Ist dir dein Aufstand mehr wert, als ich es bin?«
Er nahm mein Gesicht zwischen die Hände, und ich konnte sehen, daß es ihm nicht egal war, ja, daß es ihm keineswegs egal war. »Tirzah, ich werde ihn für das töten, was er mit dir machen wird«, sagte er leise. »Glaube mir.«
Und ich glaubte ihm.
Isphet drängte die Männer aus dem Raum und unterhielt sich lange mit mir. Sie sagte mir, was ich zu erwarten hatte, und sie verlieh mir den Mut, es zu ertragen. Am späteren Abend ging ich neben ihr nach Hause, Kiath und Saboa folgten uns schweigend. Ich hatte Yaqob nicht in die Augen sehen können, als ich mich von ihm verabschiedet hatte.
Die Erinnerung an Hadone tauchte immer wieder in meinen Gedanken auf. Auch er hatte mich besessen, aber er hatte versucht, sanft zu sein und mir nicht zu sehr weh zu tun. Nach dem zu urteilen, wie ich Boaz erlebt hatte, und was mir Isphet erzählt hatte, konnte ich von ihm keine Schonung erwarten.
Nun, ich hatte Hadone überstanden, ich würde auch Boaz überstehen. Und vielleicht würde mir ja ein sorglos dahingesagtes Wort den Schlüssel zu unserer Freiheit in die Hand geben.
Am Abend schob ich das Essen beiseite, das Kiath mir anbot, dann ging ich nach draußen, um mich zu waschen. Als ich zurückkehrte, wartete bereits ein Wächter mit einem weißen Stoffbündel in der Hand auf mich.
»Für dich. Seine Exzellenz will dich nicht in deinen schmutzigen Arbeitsgewändern empfangen.«
Isphet nahm es ihm ab, dann zog sie mich nach draußen, damit ich mich umziehen konnte. Es handelte sich um ein wunderschönes Gewand, ein aus weißem plissiertem Leinen geschnittenes eng anliegendes Kleid, das an einen breiten, runden Kragen aus blauen Perlen angeschnitten war, der über meine Schultern fiel. Es paßte wie angegossen, schmiegte sich an meine Taille und Hüften, und reichte bis zur Wade. Ein wunderschönes Gewand, aber ein Hurenkleid. Und in Blau und Weiß, den Farben der Magier.
So gezeichnet würde ich durch die Straßen von Gesholme zu seinem Haus gehen müssen.
Isphet kämmte mein Haar und ließ es lose auf meine Schultern fallen. Dann gab sie mir einen zarten Kuß auf die Wange. »Geh«, sagte sie. »Ich werde auf dich warten.«
Ich nickte, zu keinem Wort fähig, und folgte dem Wächter.
Die Straßen lagen fast völlig verlassen da. Nach Einbruch der Abenddämmerung waren nur noch wenige Einwohner unterwegs, ausgenommen denjenigen, die einen guten Grund dafür hatten. Es gab einige Patrouillen, mehrere neugierige Blicke, die mir aus hohen Fenstern folgten, und den abendlichen Chor der Frösche im Flußschilf, aber das war es auch schon.
Der Wächter sprach nicht. Er ging ein Stück hinter mir, mißtrauisch, wartete auf einen Fluchtversuch.
Aber dazu hatte ich jetzt keinen Willen mehr. Es gab keinen Ort, an den ich hätte fliehen können.
Schließlich erreichten wir die Siedlung der Magier.
»Halt«, sagte der Wächter, und er sprach kurz mit dem Sondertrupp, der am Tor Posten stand. Zu Ta’uz’ Zeiten waren das nur zwei Mann gewesen. Jetzt waren es mindestens sechs schwerbewaffnete Männer, die entschieden, wer hinein durfte und wer hinaus.
Der Wächter – die Männer am Tor hatten ihn Kiamet genannt –, führte mich durch die Siedlung. Seit der Nacht meiner Ankunft war ich nicht mehr hier gewesen, und ich hatte vergessen, wie süß und kühl die Luft war, von Blumenduft erfüllt, wie weich das Licht war. Ich sah die sorgfältig angelegten Gärten, aber in der Nacht verbargen Schatten sie vor meinen
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