Die Glorreichen Sieben 05 - und Der doppelte Schluessel
aufeinandergestapelt waren.
„Na ja, kann ich eigentlich verstehen“, brummte der Hausmeister und verschwand wieder im Schulgebäude. „Man muß ja nicht alles gesehen haben, was man sieht.“ Selbstverständlich waren ihm die Glorreichen Sieben und ihr Boß ein Begriff.
Zur selben Zeit faltete Studienrat Dr. Purzer hinter den verschlossenen Fenstern im zweiten Stock die Bad Rittershuder Nachrichten zusammen, blickte auf seine Armbanduhr und stellte fest: „Ihr habt nicht mehr viel Zeit, es läutet in zehn Minuten, und dann ist endgültig Einsendeschluß.“
Ein Generaldirektor möchte eigentlich die Notbremse ziehen
Der Intercity donnerte aus dem stockfinsteren Tunnel in den wolkenlosen Frühlingstag. Die Helligkeit sprang wieder in die Abteile wie eine Serie ganz schnell nacheinander abgeschossener Blitzlichter.
Der rosafarbene Gast, der in dem mäßig besuchten Speisewagen allein an einem Tisch saß, schnippte mit Daumen und Zeigefinger, als der Kellner in seinem weißen Jackett vorbeikam.
„Das Schnitzel ist leider so gut wie kalt“, bemerkte der Mann, der aussah wie aus Marzipan gemacht. „Tut mir leid, aber wenn ein Wiener Schnitzel nicht heiß serviert wird, ist es ungenießbar “ Er lächelte und schob den kaum berührten Teller zur Seite.
„Entschuldigen Sie, mein Herr“, sagte der Ober, ohne zu zeigen, was er in diesem Augenblick wohl dachte. „Ich werde unserem Koch Bescheid sagen.“ Kurz darauf verschwand er mit dem beanstandeten Essen durch den schmalen Gang zwischen den Tischreihen am Ende des Wagens in der Küche.
Herr Piepke, der ja inzwischen Andreas Bertram hieß, lehnte sich tief in den Polstersessel zurück und räkelte sich in der Sonne, die durch das Laub der vorbeiflitzenden Bäume abwechselnd sein Gesicht oder seine Hände mit dem auffallend großen Ring aufleuchten ließ. Wenn sie den dunkelbraunen Stein in der goldenen Fassung traf, zauberte sie blitzende kleine Funken auf den Sternsaphir.
Natürlich hatte der hochgewachsene Mann mit der getönten Brille nicht aus purem Zufall gerade heute in Bad Rittershude die Kurve gekratzt. Einerseits war heute Montag, und das war sein Lieblingstag für alle Unternehmungen von einiger Bedeutung. Andererseits schrieb man heute den zweiundzwanzigsten April, und die Zwei war schon immer seine Glückszahl gewesen.
Herr Andreas Bertram war hoffnungslos abergläubisch und gab auf Vorzeichen sehr viel. Nie hätte er bei Gewitter auch nur den kleinsten Bissen gegessen oder sich beim Fliegen in die dreizehnte Reihe gesetzt. Selbstverständlich machte er auf dem Absatz kehrt, wenn irgendwo eine schwarze Katze von rechts über die Straße schlich, und keinesfalls hätte er zwischen Weihnachten und Neujahr seine Hemden oder Unterhosen in die Wäsche gegeben.
Wie sich das Leben manchmal auf den Kopf stellen kann, überlegte der Rosafarbene, während vor den Fenstern blitzblanke Bauernhöfe, weidende Kühe und bewaldete Bergrücken vorüberzogen. Nicht auszudenken, daß ich noch vor fünf Wochen im Knast gesessen habe. Wenn da das Essen aus den riesigen Kübeln einmal nicht lauwarm war wie abgestandenes Spülwasser, dann guckte man verwundert aus der Wäsche und fragte sich, ob denn mitten im Sommer plötzlich Weihnachten ausgebrochen sei.
Er schüttelte den Kopf und grinste, wobei sich auf seiner linken Backe wieder einmal ein kleines Grübchen zeigte. Und jetzt sitze ich in einem piekfeinen Speisewagen der Bundesbahn mit weißen Tischdecken und einem Ober, den ich springen lassen kann, wenn ich’s will. Es ist kaum zu fassen.
Das Hotel zum Kurfürsten lag für ihn inzwischen schon genauso weit zurück wie seine Blinddarmoperation, die er bereits als Kind hinter sich gebracht hatte und an die er sich auch nicht mehr erinnern konnte. Das alles war längst Schnee vom vergangenen Jahr.
Dagegen waren die drei Jahre Knast nicht so einfach mit einer Handbewegung vom Tisch zu wischen.
Sie hatten sich enorm in die Länge gezogen, und oft genug hatte er sich über die anderen, die draußen frei herumspazieren durften, grün und blau geärgert. Das war ganz schön an die Nieren gegangen.
Herr Martin Piepke, dessen Falschnamen im Laufe der Zeit wie Gänseblümchen ins Kraut geschossen waren, hatte schon sehr früh eine tiefe Abneigung gegen jede Art von Arbeit entwickelt. Die Vorstellung, sich die Finger schmutzig machen zu müssen, verursachte ihm geradezu Brechreiz und Gänsehaut. Logischerweise entschied er sich also für eine Branche, bei der
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