Die Glücksbäckerei – Die magische Prüfung (German Edition)
dergleichen hat. Vielleicht geht es ja darum, wer mit der größeren Leidenschaft bäckt und Menschen glücklich machen möchte.
Andererseits, wahrscheinlich war Leidenschaft allein nicht genug.
»Und nun kommen wir zum Überraschungsthema des Tages«, sagte Jean-Pierre Jeanpierre.
Jetzt kommt’s!, dachte Rose. Was immer das Thema sein würde – ob BLÄTTRIG oder TEIGIG oder VERBRANNT oder RANZIG oder welche bizarre Eigenschaft Jean-Pierre während des Schlafes auf seinen Biskuitkissen durch den Kopf geschossen war – Rose würde keinesfalls in der Lage sein, etwas hervorzubringen, das sich mit dem von Lily messen könnte. Ihr standen keine Zauberzutaten mehr zur Verfügung, nicht einmal Mädchengekicher oder der erste Herbstwind. Der Zwerg des Ewigen Schlafes schlief anderswo, und das Erröten einer echten Königin war in die Nacht verschwunden.
»Das Thema lautet AUSGEFALLENE GETREIDEARTEN .«
Getuschel und Staunen brach im Saal los, und die Zuschauer auf den Emporen machten ihrer Überraschung Luft.
»Sie haben wie üblich eine Stunde, um zu planen, dann folgt die wichtigste Backstunde Ihres Lebens. Gehen Sie jetzt. Wagen Sie sich in Ihre Phantasie.«
Der glatzköpfige Meisterkonditor verließ die Bühne, und die Logen begannen sich zu leeren. Rose lehnte sich an die Arbeitsplatte. Was sollte sie nur machen?
»Junge, Junge,
mi hermana
«, sagte Tymo. »Du siehst gar nicht gut aus. Wasch dir mal das Gesicht. Deine Augen sind ja ganz nass.«
Rose wollte sich mit dem Ärmel ihres Kapuzenshirts über die Wangen wischen, aber genau in dem Moment erschien Balthasar und riss ihre Arme nach unten. »Lass sie!«, rief er.
Er stellte die Stoffreisetasche ab, die er mitgebracht hatte, und öffnete sie.
»Großvater Balthasar«, flehte Rose, »was soll ich machen? Jeremias hat uns alle Zauberzutaten gestohlen!«
Balthasar zog ein Reagenzglas aus der Reisetasche und hielt es unter Roses Augenlider, aus denen Tränen quollen wie das Wasser aus dem Springbrunnen von Versailles. Einige der Tränen sammelten sich unten in dem Reagenzglas. Balthasar verkorkte es und reichte es Tymo.
»Wofür ist das?«, fragte Tymo und hielt das Reagenzglas mit so spitzen Fingern zwischen Daumen und Zeigefinger, als sei es mit Plutonium gefüllt.
»Das erkläre ich gleich«, grunzte Balthasar und drehte sich zu Rose um.
»Du machst die
Opulente Polenta
«, sagte er nüchtern. »Auch
Mächtiger Maisbrei
genannt. Du weißt doch noch, das ist das Gericht, dass ich dir in Mexiko gezeigt habe. Du quirlst Maisgieß in einen Topf mit kochendem Wasser und Milch. Dann gibst du Honig zu, einen Zweig Rosmarin und dann brauchst du …«
»… das Rülpsen eines aufgeblasenen Ochsenfrosches, ich weiß«, sagte Rose. »Aber wir haben keinen aufgeblasenen Ochsenfrosch.«
Lily musste gelauscht haben, denn sie zischte etwas über den Gang. »
Psst
, Rose. Meinst du
diesen
aufgeblasenen Ochsenfrosch?«
Lily verschwand kurz hinter ihrem Hackblock. Als sie wieder hervorkam, hielt sie ein blaues Einmachglas in der Hand – mit eben jenem beklagenswerten Lurch, den sie in Mexiko gesehen hatten und der unglücklich am Glasrand lehnte und sich den aufgeblähten Bauch hielt.
Rose konnte nur mit offenem Mund hinüberstarren, während Lily lachte und das Glas wieder verstaute.
»Du wärst ja so cool, wenn du nur nicht so böse wärst,
El Tiabolo
!«, rief Tymo.
Rose drehte sich zu Balthasar um. Ihre Augen füllten sich schon wieder mit Tränen.
»Komm her«, sagte er leise, legte den Arm um sie und drehte sie von den aufdringlichen Kameras fort.
»Du weißt, dass ich nicht als sentimental gelte«, sagte er ihr ins Ohr. »Aber du … du bist ein gutes Mädel, Rose. Ich habe jedes Rezept studiert, das die Generationen von Glycks jemals aufgeschrieben haben, und ich kenne die Lebensgeschichte eines jeden Zauberbäckers, den die Familie Glyck jemals hervorgebracht hat, und du, Rose, gehörst zu den ganz Besonderen. Du könntest noch große Dinge erfinden. Heute wirst du verdammt noch mal die beste Polenta machen, die du je gemacht hast. Mach sie mit Liebe. Das ist die wahre Zauberzutat, und die hast du im höchsten Maße.«
»Aber Lily …«, sagte Rose und kämpfte mit den Tränen. »Sie …«
Balthasar schüttelte den Kopf. »Egal, was heute passiert, leider muss ich sagen, dass Lily sich letzten Endes zerstören wird. Ihre Art von Ehrgeiz hat die Zivilisation zerstört. Bleibe du nur gut.«
»Dann soll ich die Polenta einfach ohne
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