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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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Schritte hinter meinem Vater her, und die wenigen Meter bis zu unserem Container kamen mir weiter vor als sonst. Ich weiß nicht, ob das Gefühl, das ich hatte, Angst war oder etwas anderes, jedenfalls hatte ich alle möglichen unguten Gedanken. Ich dachte, dass mein Vater seine Stelle hier verlieren könnte und wir nie wieder auf die Beine kämen, dass der Container das Einzige wäre, was uns blieb, und stellte mir vor, er würde abbrennen und dass wir dann nirgendwo mehr hingehen konnten.
    «Haben wir einen Feuerlöscher?», sagte ich. Mein Vater blieb stehen, er drehte sich zu mir um.
    «Im Büro ist einer», sagte er. «Wo brennt es denn?»
    Ich antwortete, ich würde mich wohler fühlen, wenn der Feuerlöscher bei uns im Container wäre. Dazu nickte ich, und er nickte auch.
    «Ja, da kannst du recht haben», sagte er. Er ging zurück, während ich allein stehen blieb, und nach einer Minute kam er zurück und trug den Feuerlöscher.
    «Nimm du ihn», sagte er und gab ihn mir. Er wog mehr, als ich erwartet hatte, und sah aus wie eine rote Bombe, aber gerade sein Gewicht gab mir ein gutes Gefühl.

[zur Inhaltsübersicht]
    [7]
    Als ich am Nachmittag aus der Schule kam, war der Hund schon da. Mein Vater war allein losgefahren, um ihn abzuholen. Es kam mir vor, als wäre er gewachsen, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er wirkte kräftiger und sah weniger weich aus. Ich ging in die Hocke und blieb zwei Meter vor dem Zwinger sitzen und schaute ihn nur an, ohne etwas zu tun oder zu sagen. Der Hund bewegte sich so schnell darin hin und her, dass man glauben konnte, er drehe sich auf der Stelle im Kreis. Ich sah ihm eine Weile zu, und schließlich wurde er langsamer und schabte mit der Schnauze auf den Bodenbrettern herum. Dann rief meine Mutter nach mir, ich ging nach drinnen und setzte mich zu meinen Eltern an den Tisch. Sie sprachen über den Hund. Meine Mutter behauptete, sie würde sich nicht an
Heimdall
gewöhnen und er müsste mindestens einen anderen Namen bekommen, andernfalls könnte sie ihn nicht ertragen.
    «Das ist keine gute Idee», sagte mein Vater. «Für dich ist es leichter, dich damit abzufinden, als für ihn, sich jetzt noch an einen neuen Namen zu gewöhnen.»
    Meine Mutter bestritt das und meinte, das wäre nur eine Frage der Zeit und er würde einen neuen Namen genauso akzeptieren wie seinen alten. Dazu sah sie mich an, denn sie wusste, dass ich
Heimdall
auch nicht mochte. Es dauerte noch einige Minuten, bevor mein Vater nachgab.
    «Und wie soll er dann heißen?», fragte er schließlich.
    «Benni», sagte meine Mutter. «Das klingt nett.»
    «Nett», sagte mein Vater und zu mir: «Was meinst du?»
    «O.k.», sagte ich. Im Grunde genommen war es mir egal, wie er hieß, solange niemand darauf bestand, der Name müsse etwas bedeuten.
    «Er ist schließlich noch jung», sagte meine Mutter nach einer Weile.
    Von da an behandelten beide ihn, als wäre er eigentlich mein Hund. Bevor meine Mutter mich morgens zur Schule fuhr, ging ich zum Zwinger und gab Futter und frisches Wasser in seine Schalen. Ich sah zu, wenn er fraß, kraulte ihn im Nacken, wo das Fell noch weich war, und klinkte die Leine ins Halsband ein. So brachte ich ihn zum Parkplatz, wo ich zu meiner Mutter ins Auto stieg, während mein Vater den Hund, der jetzt Benni hieß, an der Straße entlang bis zur Brücke und zurück führte und anschließend in sein Büro ging. Nachmittags oder abends nahm ich ihn noch einmal an die Leine und ging am Fluss entlang, und auf diesen Wegen merkte ich, dass er kein Hund war, der viel bellte. Wenn ihm fremde Menschen begegneten, blieb er stehen und witterte, aber er knurrte nur, wenn sie nah herankamen und ihn zu streicheln versuchten. Ich wusste, dass ich keine Angst vor Benni zu haben brauchte, zumindest war ich mir fast sicher, aber ich konnte mir vorstellen, dass er bedrohlich wirkte, wenn man ihn nicht kannte. Ich konnte ihn ohne weiteres auf den Arm nehmen und tragen, was er meistens geschehen ließ, und dann wog er nicht mehr als ein Eimer Wasser, doch er bekam eine ziemliche Wucht, wenn er an mir hochsprang. Ich versuchte dann, den Anprall seiner Pfoten mit den Händen abzuwehren und ihn festzuhalten.
    Am Zaun hängte mein Vater gelbe Plastikschilder mit der Aufschrift VORSICHT, BISSIGER HUND! auf, immer im Abstand von vier oder fünf Metern, und wenige Tage darauf nagelte er noch einige an die Baumstämme auf dem Parkplatz. Er hatte früher am Tag irgendetwas gestrichen, an seinen Fingern

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