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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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fest um die Türklinke, klopfte gegen das Holz und trat dabei schon ein.
    Lisa Heller stand im Halbdunkel, mein Vater saß auf seinem Drehstuhl, ihr zugekehrt und die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Lisa drehte sich um, trat einen Schritt zur Seite, und nun sah ich sie zum ersten Mal richtig und aus der Nähe an. Sie trug eine karierte Bluse, helle, über den Knien abgeschnittene Jeans und darunter schwarze Leggings.
    «Was gibt’s denn?», fragte mein Vater.
    Ich sagte, ich hätte gerade draußen diese Kette gefunden, und zeigte sie in der offenen Hand.
    «Das ist meine», sagte Lisa. «Du bist wirklich ein Schatz.»
    Ich gab ihr die Kette, und sie fing sofort an, an dem Verschluss herumzufummeln, indem sie mit ihren lackierten Nägeln die winzigen Ösen ineinanderzudrehen versuchte.
    «Wir fahren gleich in die Stadt», sagte mein Vater. «Im Roten Blitz.»
    «Das ist wirklich
unheimlich
nett», sagte Lisa. «Meine Mutter hat ja kein Auto hier.» Das schob sie nach einer kurzen Pause hinterher, als hätte sie gerade etwas aufgesagt und gemerkt, dass die letzte Zeile fehlte.
    «Kein Problem», sagte mein Vater zu mir. «Ich muss ohnehin was erledigen. Was besorgen. Komm doch mit.»
    «Warum denn?»
    Er schnalzte mit der Zunge.
    «Hast du was Besseres vor?»
    Ich zuckte mit den Schultern.
    Lisa lächelte, legte dann, als ich zu ihr hinsah, die Stirn in Falten und spitzte ihren Mund.
    Nur mit großem Aufwand konnte ich Benni wieder zum Zwinger zurückbringen. Er sträubte sich, zog in die andere Richtung, zum Schlagbaum hin, und er knurrte mit gesenktem Kopf, als ich ihm über die Schnauze strich und ihn einschloss. Während ich davonging, nahm ich mir vor, es wiedergutzumachen.
    Mein Vater stand vor der Bürohütte und ließ den Autoschlüssel um einen Finger kreisen. Dabei schaute er in den Himmel.
    «Ein Graureiher», sagte er und zeigte mit dem Finger nach oben. Das kleine, lederne Schlüsseletui war jetzt in seiner Hand verschwunden. «Die sieht man nur selten in der Luft. Man könnte glauben, sie fliegen überhaupt nicht. Sonst stehen sie immer nur am Ufer, als hätte man sie in den Sand gesteckt.» Lisa stand neben ihm, eine ausgebeulte Sporttasche in einer Hand. Die Sonnenbrille hatte sie sich ins Haar geschoben.
    Wir machten uns auf den Weg zum Parkplatz, schlüpften unter dem Schlagbaum durch und stiegen ins Auto. Ich zögerte keinen Augenblick und nahm auf der Rückbank Platz, schräg hinter meinem Vater. Lisa schob ihre Tasche in den Fußraum, rutschte auf den Beifahrersitz und schnallte sich an.
    «Das ist der sicherste Sitz dahinten», sagte mein Vater mit einem Blick über die Schulter. «Botschafter und solche Leute sitzen immer rechts hinter dem Chauffeur.»
    «Ist das wahr?», fragte Lisa.
    «Ja», sagte er. Er wartete, bis ein dunkelblauer BMW über die Brücke gefahren war, grüßte den Fahrer mit einem aus dem Fenster gehaltenen Daumen und fuhr dann selbst auf die Brücke.
    «Und hier vorn ist es gefährlich?», fragte Lisa.
    «Nur für Botschafter», sagte mein Vater, und ich musste lachen. Lisa drehte ihren Kopf nach hinten und lächelte mir zu, und ich war froh, dass ich ihre Kette gefunden hatte.
    «Hast du schon zu Abend gegessen?», fragte mein Vater nach dem Verkehrskreisel, hinter dem die Felder endeten und in den Stadtrand mit den Plattenbauten übergingen.
    «Nee», sagte Lisa.
    «Es gibt da einen guten China-Mann, nicht weit vom Bahnhof», sagte er. «Gut und billig.»
     
    Vor dem Eingang des Restaurants hockten zwei vergoldete Löwen mit aufgerissenen Mäulern auf dem Asphalt. Im Vorübergehen tätschelte mein Vater einem die Mähne.
    Drinnen war wenig Betrieb. An einem Tisch saßen ein Mann und eine Frau, sonst sah ich nur Männer, die allein aßen. Einer hatte eine Baseballmütze neben seinen Teller gelegt. Die rechte Hand um die Gabel geballt, stieß er in sein Essen, sein linker Arm hing unter dem Tisch. Die Beleuchtung war spärlich, sie kam von einigen Lampions mit roten Schirmen, und weil vor den Fenstern Gardinen hingen, war es dunkler als im Freien. Es gab ein paar freistehende Tische und Sitznischen entlang der Wände, und in der Mitte des Raums befand sich ein Büfett. Mein Vater steuerte eine der Buchten an, wir folgten ihm. Am Tisch ließ er Lisa und mir den Vortritt. Sie setzte sich auf die Bank, ich rückte daneben, mein Vater setzte sich uns gegenüber.
    Ein Kellner, der kaum älter sein konnte als ich selbst, brachte Speisekarten in braunen Plastikeinbänden. Wir

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