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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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Ich wickelte mir eine Schlaufe um die rechte Hand, und er stemmte sich in sein Halsband, und dabei zitterten sein Nacken und seine Flanken.
    Der hintere Teil der Insel war dichter von Bäumen bestanden, und es gab eine Lichtung, so groß wie ein Fußballfeld, die von einem hohen Metallzaun eingefasst war. Darauf standen mehrere Metallkästen und der Sendemast. Aus der Nähe wirkte er wie ein festgebundener Mikadostab. Ich konnte sehen, dass er in der oberen Hälfte einen Kranz hatte, von dem aus Stahlseile schräg in vier Richtungen zum Boden führten, und dass breite Stücke des Masts rot gestrichen waren.
    Wenn wir um den Platz und danach um diese Fläche herumgingen, war unser Weg eine riesige auf die Erde gemalte Acht. Oder eine Null, je nachdem ob wir eine große Runde machten oder zwei kleine. Als mir das auffiel, fragte ich mich, was besser sei, und obwohl es wahrscheinlich überhaupt keine Bedeutung hatte, wechselte ich von da an ab, sodass regelmäßig Acht und Null aufeinanderfolgten.
    Der Fluss führte um diese Zeit wenig Wasser, und im Altwasserarm trocknete der Schlamm an beiden Ufern aus und wurde von der Sonne zu festen hellbraunen Placken gebacken. Der Geruch des brackigen Wassers war faulig und stechend, und man konnte ihn auch auf dem Platz riechen. Trotzdem aßen wir meistens im Freien. Nach dem Essen nahm ich Benni mit über die Brücke bis zu den Obstwiesen auf der anderen Seite, wo ich ihn von der Leine lassen konnte. Ich nahm nie einen Stock oder Ball mit, wie manche Urlauber, die mit ihren Hunden kamen, ich ließ ihn einfach laufen und schaute ihm zu. Die Wiesen wurden einige hundert Meter weiter von Eisenbahngleisen durchschnitten. Von weitem war der Bahndamm eine dunkelgrüne Wand, die den Blick auf die dahinterliegende Fläche verdeckte, von nahem war er eine Wildnis. Die Gleise lagen fünf oder sechs Meter oberhalb der Wiesen, und dass dort Schienen liefen, merkte man nur, wenn ein Zug dort entlangfuhr. Selbst die Oberleitung darüber blieb ein undeutlicher dünner Strich, an manchen Stellen lückenhaft, als wäre er ausgewischt worden.
    Weiter kam ich erst an dem Tag, als Benni nach einer seiner Schnüffeltouren nicht wiederauftauchte. Solange wir an der Straße oder auf einem Feldweg blieben, trottete er meistens neben mir her; auch wenn ich zwischen den Bäumen lief, blieb er in meiner Nähe und strich nur ab und zu mit seiner Schnauze durchs Gras. Sobald wir aber in die Nähe des Ufers kamen, wo das Gebüsch dicht und undurchsichtig wurde, verschwand er darin und brach an einer anderen Stelle, ein paar Meter links oder rechts von mir, wieder hervor. Es kam vor, dass er eine Ente aufscheuchte, die laut schnatternd und mit klatschenden Flügeln davonflog, bevor er selbst mit Kletten im Fell oder Bröseln von trockenem Laub aus dem Dickicht kroch.
    Auch entlang des Bahndamms wucherten Brombeeren und Brennnesseln. Holunderbüsche, die weiß blühten und süßlich rochen, wenn man nah an sie herankam, erkannte ich, auch vereinzelte junge Birken, meistens dort, wo das übrige Pflanzengeflecht flacher und weniger dicht war. Vielleicht erinnerte das alles ihn an den Wald hinter dem blöden Übungsplatz, denn er sprang los und wühlte sich hinein. Eine Weile hörte ich ihn rascheln wie immer, und ich setzte mich in einiger Entfernung unter einen wilden Nussbaum in den Schatten und trank Wasser aus meiner Plastikflasche. Dann legte ich die Flasche ins Gras, nahm einen kleinen Block heraus, den ich vor den Ferien am Kiosk neben der Schule gekauft hatte, und versuchte einen Mann zu zeichnen, der einen tragbaren Fernseher an einem Henkel hält, das Kabel mit dem Stecker in der anderen Hand. An einer Fußgängerampel hatte ich einmal einen Aufkleber gesehen mit der Aufschrift BEZAHLT KEINE RUNDFUNKGEBÜHREN . Darunter war die Zeichnung eines Mannes mit irrem Gesichtsausdruck. Sein Mund hatte ausgesehen wie ein schwarzer Fingernagel, seine Augen waren weit aufgerissen, mit kleinen Punkten darin. Unter dem Bild stand:
     
    SIE GEBEN DAS GELD DOCH NUR FÜR DROGEN AUS.
     
    Mehrmals versuchte ich, diesen Blick in meiner eigenen Zeichnung nachzumachen, ohne dass es mir gelang. Schließlich kritzelte ich nur noch schwarz gestrichelte Haare, geschwungene Ohren, dunkle Halbmonde.
    Mit der Zeit verzog sich die Sonne hinter einer dichten weißen Wolke, die Luft wurde kühler, und gleichzeitig kam es mir so vor, als würden die Geräusche lauter als zuvor. Ich stand auf, steckte die Flasche und den Block weg

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