Die Glücksparade
Sushi. Der, der gewonnen hat, darf eine Haube von so einem Tablett nehmen und schauen, was darunter ist. Aber er weiß es vorher nicht, weil er es ja nicht sehen kann. Jeder kann alles gewinnen. Oder nur einen Trostpreis.»
«Den Zonk?», fragte mein Vater.
«Ich weiß nicht», sagte Lisa. «Aber es kann Geld sein oder eine Reise oder ein Auto oder eben nur ein Rucksack oder so.» Sie nippte von ihrem Schnaps und leckte sich die Lippen.
«Wann geht es denn los?», fragte ich.
«Im Herbst», sagte sie. «September oder Oktober, steht noch nicht genau fest. Ist auch alles noch geheim, also pssst!» Dabei legte sie einen Finger auf den Mund und zog die Augenbrauen weit nach oben.
Wir versprachen, zu schweigen.
«Großes Indianerehrenwort?», fragte sie, und wir lachten und schworen mit gespreizten Fingern.
«Wie soll sie denn heißen, deine Show?», fragte mein Vater.
«Die Glücksparade», sagte Lisa.
«Wie?»
«Die Glücksparade.»
Mein Vater lachte.
«Kannst du das buchstabieren für mich?»
Jetzt verstand sie, dass er nur so tat, als wäre er schwer von Begriff. Sie kicherte, fasste nach seiner Hand auf dem Tisch und sah ihn an.
«Also», sagte sie. «Noch mal ganz langsam zum Mitschreiben: G-L-Ü-C-K-S-P-A-R-A-D-E . Wegen der Idee, um die es geht. Mit dem Band und den Sachen, die vorbeifahren.»
«Jetzt hab ich es verstanden», sagte mein Vater und hob sein Glas. «Auf die Glücksparade.»
Wir stießen sehr vorsichtig miteinander an, denn die kleinen Gläser waren bis zum Rand gefüllt. Der grüne Likör schmeckte wie Multivitaminsaft. Ich trank ihn in einem einzigen Schluck.
Mein Vater bestand darauf, die Rechnung auch für Lisa zu übernehmen, und ließ sich auf seinen Fünfzigeuroschein fünfundzwanzig Euro herausgeben. Lisa bedankte sich mehrmals für die Einladung und sagte, das sei unheimlich lieb und nicht nötig.
«Schon gut», sagte mein Vater. «Wo können wir dich jetzt hinbringen? Nach Hause?»
«Wenn’s nichts ausmacht», sagte Lisa.
Wir gingen zum Auto zurück, vorbei an einer Videothek und einem Sexshop, die ich auf dem Weg zum Restaurant gar nicht bemerkt hatte. Mein Vater folgte Lisas Anweisungen. Wir fuhren durch ein paar Einbahnstraßen im Bahnhofsviertel, dann über die breite Straße im Zentrum, um auf die Brücke zu gelangen, die über Bahngleise führte, und dann den Hügel zum Friedhof und zum Stadion hinauf.
«Hier rechts», sagte Lisa irgendwann und zeigte auf zwei hohe, breite Häuser, die zwischen den übrigen Flachbauten standen wie zwei Dominosteine, die noch nicht umgefallen sind. Mein Vater nickte und hielt schließlich vor dem Wartehäuschen einer Bushaltestelle. Das Plakat hinter der Sitzbank warb für eine neue Eissorte mit Nüssen und Karamell.
Lisa öffnete die Beifahrertür, nahm, nachdem sie sich noch einmal bedankt hatte, ihre Tasche und verschwand zwischen zwei Reihen von Garagen.
«Wolltest du nicht noch etwas besorgen?», fragte ich auf dem Heimweg, vor allem um überhaupt etwas zu sagen, denn ich fühlte mich merkwürdig, als hätte ich zu viel Kaffee getrunken.
«Nicht so wichtig», sagte er. «Und jetzt ist es auch schon zu spät.»
Ich nickte und starrte durchs Seitenfenster in die untergehende Sonne zwischen den Antennen auf den Dächern der Häuser und später über den Obstwiesen. Der Himmel war von einem tiefen Rosa, weiter hinten wurde er lila. Die Reflektoren der Pfosten am Straßenrand blitzten kurz auf, wenn wir darauf zukamen, und waren im Moment, in dem wir daran vorbeifuhren, schon wieder erloschen.
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Ende Juli hatten die Sommerferien begonnen, aber hier wusste ich nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte. Es war unmöglich, lange zu schlafen. Im Container wurden die Wände und die Decke tagsüber so heiß wie ein Heizkörper im Winter. Mein Vater kaufte eine aufstellbare Klimaanlage, und sie surrte den ganzen Tag und die ganze Nacht in der Küche, doch es half wenig, die kühle Luft verteilte sich nicht. Dazu kamen die Mücken, die trotz der Moskitonetze nach drinnen fanden. In diesen Wochen ging ich raus, sobald ich gefrühstückt hatte, und kam während des Tages nur zum Essen zurück.
Morgens machte ich mit Benni eine Runde über die Insel. Außerhalb des Zauns, zwischen dem Maschendraht und der Uferböschung, gab es einen drei oder vier Meter breiten Streifen, auf dem das Gras wild wuchs. Auf diesem Weg hielt ich Benni an der Leine und ließ mich von ihm ziehen. Die Leine war immer gespannt.
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