Die Glücksparade
blätterten alle eine Weile darin, und Lisa klappte ihre Karte als Erste zu. Während ich sie von der Seite ansah, bemerkte ich ihr ungleichmäßig aufgetragenes Make-up und dass einige ihrer Wimpern zusammenklebten, mit kleinen Krümeln darin, als sei ein Pinsel in angetrocknete schwarze Farbe getunkt worden.
«Wan-Tan-Suppe», sagte sie unvermittelt.
«Die hatte ich auch schon», sagte mein Vater. «Damit macht man nichts falsch.»
Er ließ seine Karte auf den Tisch klatschen. Der Kellner, der das Geräusch gehört haben musste, kam direkt zu uns. Wir bestellten der Reihe nach Bier, Mineralwasser und Cola und nannten die Nummern vor unseren Gerichten. Anschließend sprach mein Vater über den Campingplatz. Was er erzählte, waren kleine Geschichten mit einer komischen Wendung, von Urlaubern, die meinten, sie hätten sich ausgesperrt, obwohl die Tür ihres Caravans gar nicht verschlossen gewesen war, und von der Familie, die in einem alten blau bemalten Mercedes-Bus angekommen war und deren Töchter alle aus Flicken zusammengenähte Röcke getragen und russischen Puppen geähnelt hatten.
«Ich dachte immer, es kommt noch eine kleinere aus der größeren», sagte er.
Dann kam das Essen. Mein Gericht bestand aus einem Haufen gebräunter Nudeln auf einer Platte; gebratenes Hühnerfleisch, Sprossen und anderes Gemüse waren untergemischt, und alles zusammen schmeckte sehr salzig. Ich aß schnell, und als ich sah, dass ich als Erster fertig sein würde, nahm ich ein kleines Glas, das zusammen mit Salz, Pfeffer, einem Süßstoffspender und einer Flasche Sojasauce in einem Korb auf dem Tisch stand. Ich drehte es hin und her und schaute es lange an, um irgendetwas zu tun, was mich davon abhielt, so hastig weiterzuessen. In dem Glas war eine rote Paste, es hatte einen Metalldeckel, der sich öffnen ließ, indem man ein kleines Plättchen drückte, und durch eine halbrunde Öffnung am Rand des Deckels war ein Löffel gesteckt. Ich gab einen kleinen Klecks von dem roten Zeug auf meinen Teller, vermengte es mit den noch übriggebliebenen Nudeln und probierte. Jetzt hatte alles eine säuerliche Schärfe, die sich erst im Mund ausbreitete, wenn ich runtergeschluckt hatte.
Zuletzt brachte der Kellner drei kleine Gläser, die aussahen wie Eierbecher, gefüllt mit einer mintgrünen Flüssigkeit. Mein Vater nickte ihm anerkennend zu und richtete den Blick dann auf Lisa.
«So», sagte er. «Wo wir schon einen echten Fernsehstar entführt haben, erzähl doch mal.»
Lisa riss ihre Lippen wieder auf diese lautlose Art, die ich schon kannte von ihr, auseinander.
«So
ist
das doch gar nicht», sagte sie.
«Aber du hast doch eine Sendung, oder nicht?», fragte ich.
«Ja, klar», sagte sie. «Aber das mach ich nicht alleine.»
«Na und», sagte mein Vater. «Das macht ja keiner. Auch nicht Günther Jauch oder Thomas Gottschalk.»
Sie lachte wieder. Mein Vater lachte mit.
«Wie bist du denn eigentlich dazu gekommen, zum Fernsehen, meine ich?»
«Über ein Modelcasting. Ist aber schon länger her», sagte sie. Danach blies sie unsichtbaren Rauch aus.
«Und wie geht es weiter für dich?»
Sie zögerte kurz, dann fing sie wieder an zu lachen, und dieses Mal klang es echt.
«Ich bekomme bald eine eigene Sendung! Kein Witz!»
«Hut ab», sagte mein Vater anerkennend. «Das klingt ja großartig.»
Lisa lächelte, aber anders als bisher, und ich dachte, dass mein Vater es gerade wieder geschafft hatte, das Eis zu brechen. Und ich wusste auch, dass er nur so überrascht tat. Meine Mutter hatte die neue Sendung schon vor einigen Tagen erwähnt, als sie abends von Aleki kam. Im ersten Moment wollte ich genau das einwerfen, biss mir aber dann auf die Zunge. Es war keineswegs sicher, dass wir davon wissen durften.
«Eine Quizshow», sagte Lisa und unterbrach sich plötzlich mit Blick zur Tür, durch die zwei Männer kamen. «Also eine Quizshow», sagte sie noch einmal. «Aber eine
richtige
, nicht so eine, in der man nur anrufen kann, sondern mit echten Kandidaten. Immer abends um sieben.»
«Gute Zeit», sagte mein Vater. «Da kommen die Leute von der Arbeit. Und wie soll sie ablaufen?»
Ich dachte, dass ich sie genau das auch gefragt hätte. Aber der Satz über die Uhrzeit wäre mir nicht eingefallen.
«Es gibt immer zwei Kandidaten aus dem Publikum, die mit mir spielen», sagte Lisa. «Sie müssen Wörter aus verschiedenen Themenbereichen raten, und dabei gibt es so ein Laufband, auf dem kleine Tabletts vorbeifahren, wie beim
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