Die Glücksparade
Bänke, die noch immer draußen standen. Mein Vater sagte, er habe noch was zu erledigen, und ging rüber in sein Büro, ich legte mich aufs Bett und las den Comic, den Erik mir geschenkt hatte. Es ging um einen Detektiv, der von einem Mann beauftragt wird, dessen Bruder aufzuspüren, der in Südamerika verschwunden ist. Zusammen mit einem Assistenten fliegt er hin, macht sich auf die Suche und lässt sich in ein Arbeitslager einschleusen, in dem er den Bruder vermutet. Tatsächlich spürt er ihn dort auf, sie brechen aus und fliehen durch den Dschungel.
Gegen Abend rief Erik mich an, um mir zu sagen, dass er die Scherbe nicht behalten wolle.
«Glaubst du, du musst ins Gefängnis deshalb?», fragte ich.
Erik sagte, er habe einfach kein gutes Gefühl dabei, ganz grundsätzlich. Statt darauf zu antworten, schnaufte ich, so laut ich konnte.
«Hat deine Mutter dir gesagt, du sollst sie zurückgeben?», fragte ich.
«Nein, wieso denn», sagte er, aber ich war mir vollkommen sicher, dass er log, und das machte mich gleichzeitig traurig und ungeheuer wütend.
«Dann schmeiß sie weg oder bring sie mir irgendwann wieder mit. Wie du willst», sagte ich.
«Gut», sagte er, und ich legte auf.
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In den Aschenbechern auf den Biertischen schwammen aufgequollene Zigarettenkippen in einer schwarzbraunen Brühe, die nur langsam von der Sonne ausgetrocknet wurde. Erst als mein Vater wieder in die Stadt fahren wollte, bat er mich, ihm beim Aufräumen zu helfen. Ich sollte die leeren Bierflaschen zusammentragen, die seit der Feier draußen herumlagen. Wegen des Flaschenpfands.
Von diesem Tag an suchte ich selber auf dem Platz nach liegengebliebenen Flaschen. Ich nahm ein Paar Gartenhandschuhe und die Schubkarre, die mein Vater immer hinter dem Gastank abstellte, und durchwühlte die gelben Plastikmülltonnen, die für die Gäste aufgestellt waren. KEINE HEISSE ASCHE EINFÜLLEN stand auf jeder Tonne. Ich nahm alle Gläser und Flaschen, die ich fand, und sortierte sie erst, wenn ich wieder zurück in unserer Ecke war und niemand zusah.
Einmal, als ich gerade losging, kam ein Junge mit einem Roller auf mich zu. Vier konnte er sein, allenfalls fünf. Er trug eine gelbe Schirmmütze und eine Brille, deren linkes Glas mit einem Heftpflaster abgeklebt war. Das Ding, auf dem er herumrollte, war aus Holz. Es hatte einen Sattel, eine Lenkstange und zwei Räder, aber keine Pedale. Er stieß sich mit den Füßen vom Boden ab, immer abwechselnd links und rechts wie eine Ente, die im Wasser paddelt, und dabei redete er vor sich hin: «Keiner kann mich sehen, keiner sieht mich, keiner kann mich sehen», und immer so weiter.
«Hallo», sagte ich. Er hielt kurz an und schaute zu mir hin, dann strampelte und redete er weiter. «He», rief ich. «Wie heißt du?»
Der Vorderreifen stoppte an meiner Fußspitze und stieß noch einige Male dagegen, als wollte er darüberfahren.
«Lass uns mal zurückgehen zu deinen Eltern», sagte ich.
Ich hob den Roller am Lenker an und drehte ihn, mit dem Vorderrad in der Luft, herum, während der Junge im Sattel sitzen blieb und zu mir aufschaute. Er sah nicht ängstlich oder überrascht aus, eher gespannt.
«Komm», sagte ich und schob ihn ein wenig von hinten an, damit er in die Richtung zurückrollte, aus der er gekommen war. Nach ein paar Schritten fing er wieder mit seinem Gerede an. Ich ging neben ihm und schob die Schubkarre.
Auf der Camperwiese stand ein Mann mit nacktem Oberkörper vor einem Hauszelt. Das Zelt hatte die Größe einer Garage, mit Fenstern aus durchsichtiger Plastikfolie im vorderen Teil und einer von zwei Stangen gestützten Plane, die über dem Eingang hing wie eine Markise. Ich blieb stehen. Ich war mir nicht sicher, ob der halbnackte Mann mich kannte. Begegnet war ich ihm noch nicht.
«Guten Tag», sagte ich. Der Mann nickte nur mit dem Kopf. Ich fragte, ob er wisse, zu wem der Junge gehöre.
«Der ist irgendwie nicht ganz richtig», sagte der Mann. Er kratzte sich sein weißes, krauses Brusthaar.
«Er hat sich verlaufen», sagte ich. «Wissen Sie vielleicht, wo er hingehört?»
Er raffte das weiße Fliegennetz zusammen und steckte seinen Kopf darunter und rief in das Zelt hinein. Darauf erschien eine Frau im Vorzelt. Ein langes violettes T-Shirt spannte über ihrem Busen und über ihrem dicken Bauch. Die Haut ihrer Arme und Beine war bronzefarben und ledrig.
«Guten Tag», sagte ich. In ihrem Gesicht lag etwas Abschätzendes, als rechnete sie
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