Die Glücksparade
hin. Es war ein Zeitungsausschnitt. PREISBOXER VERHAFTET stand in Großbuchstaben oben auf der Seite. Ein Foto war nicht dabei.
«Das war mein letzter Kampf.»
Ich schaute auf das Blatt, aber ich konnte nichts von dem lesen, was darauf geschrieben war, denn Bubi unterbrach mich, und während er sprach, sah ich nur einzelne Wörter wie
Zuschauer
und
Polizei
und
Handgemenge
.
«Das lohnt nicht die dreihundert Mark Prämie», sagte er.
Ich versuchte, einen Witz zu machen, deshalb fragte ich, ob er aus Versehen nicht auf seinen Gegner losgegangen war, sondern auf einen aus dem Publikum, aber er schüttelte nur den Kopf.
«Das ist so», sagte er. «Wer in eine anständige Liga raufwill, braucht einen Trainer mit guten Beziehungen, der einem dann auch immer sagt, was man zu tun hat. Ich hab mir aber nichts sagen lassen, solang ich gewonnen hab, und dann hab ich auch keine ordentlichen Kämpfe mehr bekommen. Stattdessen bin ich in Bierzelten angetreten. Auf eigene Rechnung, für Festgage plus Siegprämie.»
Ich nickte, sagte aber nichts. Die Folie mit dem Zeitungsartikel hielt ich in der Hand.
«Bierzelt heißt Ärger. Ob du willst oder nicht. Deshalb musst du nach dem Kampf gleich verschwinden, ganz schnell. Das Geld nehmen und weg, so hab ich es immer gemacht, wenn es ging. Ich hatte immer jemanden dabei, der gefahren ist. Aber die Bullen waren an dem Abend schon im Zelt. Nicht meinetwegen, einfach so, weil es ein Bierzelt war. Sechs Runden gegen einen Riesen aus Offenbach. Wir haben uns beharkt, und ich bin kaum an ihn rangekommen, aber er war langsam, deshalb hab ich mich gehalten, und zuletzt standen wir beide noch. Der andere hat trotzdem gewonnen, nach Punkten. Zwei Stunden später wär’s mir schon wieder egal gewesen. Aber nach dem Gong nicht, da bist du wie besoffen. Ich bin runtergestiegen, und gleich haben mich ein paar Kerle angemacht, achtzehn oder neunzehn waren die, viel jünger als ich. Die hatten schon getankt, einer hat mich angerempelt, und ich hab ihm eine verpasst, mitten in die Fresse. Richtig fest und voll rein. Dem daneben hab ich auch gleich noch was gegeben, nur zur Sicherheit. Dann kamen die Bullen und die Sanitäter. Ich hab mich nur zweimal wirklich geschlagen, und beide Male musste der Krankenwagen kommen. Nasenbeinbruch und Trommelfellblutung.»
Ich hörte ihm zu, aber ich sah das, was ihm passiert war, nicht vor mir, obwohl ich ihm glaubte. Ich wusste nicht, ob er schon fertig war, aber ich wollte auch nicht weiter nachfragen. Deshalb beobachtete ich den Kopf eines Mannes, der sich in einiger Entfernung auf dem Parkplatz zeigte. Ich konnte sehen, dass er einen kleinen hellen Stoffhut und eine Sonnenbrille trug, und einen Atemzug lang fürchtete ich, es könnte wieder jemand sein, der unseretwegen hergeschickt worden war und Geld verlangen würde. Dann fing ich plötzlich an, von meinem Vater zu erzählen. Ich erzählte, was ich wusste. Dass er durchs Abitur gefallen war, weil er in der Zeit irgendwelchen Ärger hatte, dass er zur Bundeswehr gegangen war und danach alles Mögliche versucht hatte, vom Hunsrück und von seinem Fußballspiel, und Bubi zündete sich einen neuen Zigarillo an und hörte zu. Als ich fertig war, nickte er.
«So geht es allen hier, das kann ich dir sagen.»
«Sag’s mir.»
«Warum? Glaubst du, dass es davon besser wird?»
«Ich weiß nicht. Vielleicht. Was ist mit Waldemar?»
«Der ist Pförtner im Altenheim. Seit sechsundzwanzig Jahren. Weil er mal vom Moped gestürzt ist und seitdem hinkt und nur noch im Sitzen arbeiten kann. Für einen Monteur ist das schlecht.»
«Mehr nicht?»
«Er ist geschieden, sieht seine Tochter nicht mehr, zahlt aber Unterhalt.»
«Woher weißt du das?»
«Hab ich gehört.»
«Von wem?»
Er grinste, während er Rauch ausblies.
«Von irgendwem. Vielleicht von ihm selber.»
«Und was ist mit Klaus?», fragte ich, und er lachte wieder.
«Das weiß doch jeder.»
«Was weiß jeder?»
«Klaus wollte mal eine Flugschule aufmachen. Für Stuntmen.»
«Hat er dir das erzählt?»
«Natürlich. Brauchst ihn nur zu fragen.»
«Und warum ist nichts draus geworden?»
«Er hat’s versaut.»
«Wie?»
«Da hat was nicht geklappt mit einem Kredit, sagt er.»
«Und Lorna?»
«War mal Bürokauffrau bei Shell und hat ihren Chef geheiratet. Dann hatte sie eine Fehlgeburt. Jetzt sitzt sie hier draußen und passt auf, dass sie nicht zu dick wird.»
Ich versuchte zu entscheiden, ob ich mich jetzt, da ich diese Dinge erfahren
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