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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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damit, dass ich ihr etwas verkaufen wollte. Ich wiederholte meine Frage.
    «Da drüben, glaub ich», sagte sie und zeigte auf einen langen weißen Wohnwagen, der längs zum Zaun stand.
    «Keiner kann mich sehen, keiner sieht mich, keiner kann mich sehen», sagte der Junge.
    «Danke», sagte ich. «Wissen Sie auch, wie er heißt?»
    «Johannes, glaub ich», sagte sie. «Aber mit dem stimmt was nicht.»
    Ich bedankte mich noch einmal, verabschiedete mich und ging um das Zelt der beiden herum auf den Wohnwagen zu, auf den sie gezeigt hatte, während ich den Jungen, der vielleicht Johannes hieß, wieder vor mir herrollen ließ. Meine Schubkarre war immer noch leer.
    Neben dem Wagen stand eine Pappel. Einige ihrer Zweige drückten gegen das Dach, so nah war er hinten an den Stamm des Baumes geschoben worden. Obwohl er so lang war, hatte der Wagen nur eine Achse, links und rechts davon war er aufgebockt. Zu beiden Seiten der Tür befanden sich schwarz gerahmte Luken und an seiner kurzen hinteren Seite ein breites Fenster, vor dem ein Rollo heruntergelassen war.
    «Wohnst du da?», fragte ich. Der Junge schüttelte den Kopf. «Heißt du Johannes?» Er schüttelte wieder den Kopf, dieses Mal heftiger.
    Ich setzte die Schubkarre ab, ging zur Tür und klopfte an. Mir kam es vor, als fiele daraufhin drinnen irgendetwas um, mit einem leisen, plumpen Schlag, doch je länger es danach still blieb, desto unsicherer wurde dieser Eindruck. Ein zweites Mal klopfte ich nicht.
    Durch keines der Fenster konnte ich etwas sehen, weiße Fliegennetze waren davorgespannt, und nur dass sich hinter einem davon eine Kochzeile befand, erkannte ich. Als ich mich umdrehte, merkte ich, dass der Junge mir mit geöffnetem Mund zuschaute und seine Zunge nach vorn zwischen die Zähne geschoben hatte.
    Während ich noch dastand, hörte ich wieder ein Geräusch. Nun ließ ich den Jungen stehen und schob mich zwischen Zaun und Wagen. Meine Hände berührten seine Oberfläche, sie war nicht glatt, sondern sie fühlte sich an, als hätte die Farbe unzählige kleine Blasen geworfen. Der Spalt war etwa einen halben Meter breit, mehr Platz, als ich erwartet hatte. Eines der Fenster war leicht nach außen gekippt, und noch bevor ich es erreicht hatte, hörte ich das Geräusch wieder, jetzt etwas lauter, ein unruhiges Jaulen, das in immer kürzeren Abständen kam, und es brauchte nicht lange, bis ich begriff, was vor sich ging. Schnell ging ich zurück nach vorn, und dabei schaute ich auf den Boden, um nicht versehentlich Lärm zu machen.
    Der nächste Caravan stand einige Meter entfernt, kein anderer war so weit zurück an den Zaun gesetzt worden wie dieser eine. Ich schaute auf die Uhr, es war kurz nach vier.
    «Lass uns noch ein Stück gehen», sagte ich. Der Junge brabbelte nicht mehr, er rollte stumm auf seinem Gefährt neben mir her.
    «Ich habe gerade mit dem Weihnachtsmann telefoniert und erfahren, dass du Johannes heißt», sagte ich. «Stimmt das?»
    Er schüttelte wieder den Kopf und grinste dabei. Das amüsierte mich, und ich stellte ihm noch ein paar Fragen, einfach zum Spaß. Ich fragte ihn lauter idiotische Dinge, ob er fliegen könne oder Sumo-Ringer sei, und dann versuchte ich, mich zu benehmen wie ein Erwachsener, der mit einem Kind redet, und fragte ihn, ob ihm die Schule Spaß mache. Egal, was ich sagte, er schüttelte den Kopf, aber er schüttelte ihn nur, wenn ich wieder etwas fragte. Eine halbe Stunde führte ich ihn so auf und ab zwischen Wohnwagen und Zelten, bis an die Spitze der Insel, wo die Wiese auf den letzten Metern frei geblieben war, und anschließend zurück zu dem Wohnwagen am Zaun.
    Jetzt war die Tür nach außen aufgeklappt, eine Frau saß davor auf einem Faltstuhl, die Beine weit von sich gestreckt und die Füße über Kreuz. Um den Kopf hatte sie ein bunt gemustertes Tuch gewickelt, das ich von weitem für ein Handtuch hielt. Der Junge wurde schneller und ließ mich zurück. Ich bemühte mich nicht, den Abstand zu verkürzen. Die Frau nahm dem Jungen die gelbe Mütze vom Kopf und strich ihm durchs Haar.
    «Ausreißer», sagte sie.
    «Hallo, ich bin Simon», sagte ich.
    Sie kniff ein Auge zu, legte den Kopf zur Seite, sagte aber nichts, und in diesem Moment fiel mir auf, dass sie keine Augenbrauen hatte. Die Frau stand auf und nahm den Jungen auf den Arm. Der Holzroller lag neben dem Stuhl im Gras.
    «Ist noch was?», fragte sie.
    «Haben Sie Altglas?»
    Sie schüttelte den Kopf.
    «Sonst noch was?»
    «Nein», sagte ich.

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