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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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«Warum?»
    «Weil du immer noch da bist.»
    «Nein», sagte ich noch einmal.
    «Also dann», sagte sie, stieg in den Wagen und zog die Tür von innen zu.
    «Auf Wiedersehen», rief ich, auch wenn sie das sicher nicht mehr hörte und es ihr wahrscheinlich egal gewesen wäre.
     
    Ich hatte eine Weile gebraucht, bis ich begriff, dass manche Nachbarn ihr Glas sortierten, bevor sie es mir überließen. Bei Lorna und ihrem Mann, die es in eine Kiste hinter ihren Wagen stellten, fand ich immer nur Gurkengläser und einmal auch die Stücke einer zerbrochenen Mineralwasserflasche. Eine ganze war nie darin. Die meisten Flaschen kamen aus den Mülltonnen der Urlauber, aber ich sah trotzdem weiterhin überall nach.
    An einem Abend traf ich auf Bubi. Er saß auf der Treppe vor seinem Wagen und rauchte. Der Griff seines Metalldetektors ragte aus einer grauen Plastiktasche, die auf dem Boden neben ihm lag. Er zeigte auf die Schubkarre, in der drei leere Sektflaschen und zwei Wodkaflaschen hin und her rollten, und fragte, ob wir gestern lange gefeiert hätten. Ich verstand nicht, was er meinte, und er deutete wieder auf die Flaschen.
    «Die sind nicht von uns», sagte ich.
    «Von wem sind sie denn?»
    «Von Hellers.»
    «Warte mal, ich hab auch was», sagte er. Er ging in den Wagen und brachte vier Bierflaschen nach draußen.
    «Danke», sagte ich.
    «Wofür?»
    «Für die Flaschen.»
    «Das ist Altglas, oder nicht?»
    «Ja», sagte ich, und in diesem Moment merkte ich, dass er nicht ahnte, warum ich tat, was ich tat, und dass ich aus irgendeinem Grund geglaubt hatte, er habe es durchschaut. Obwohl es mir genau darum ging, allen anderen etwas vorzumachen, kam ich mir jetzt vor wie ein Betrüger, deshalb beschloss ich, ihm die Wahrheit zu sagen.
    «Da ist Pfand auf den Flaschen», sagte ich.
    «Ach so», sagte er und setzte sich wieder.
    Ich stand da und wartete. Dann sagte ich:
    «Ich will mir einen Job suchen. Ich dachte, du kannst mir vielleicht helfen damit.»
    «Setz dich», sagte er mit einem Kopfnicken. «Setz dich neben mich.»
    Er rückte zur Seite, und ich setzte mich auf die gleiche Stufe wie er.
    «Kannst du mir helfen?», fragte ich.
    «Ich wollte, ich könnte», sagte er. «Aber ich hab selbst immer nur miese Engagements gehabt und hab mir’s immer mit allen versaut.»
    Dann blieb er stumm.
    «Geh zum Blutspenden», sagte er schließlich. «Da kriegst du eine Untersuchung umsonst und das Geld gleich auf die Hand.»
    «Aber das kann ich doch nicht jeden Tag machen.»
    «Das ist das Beste daran. Welche Arbeit will man denn jeden Tag machen?»
    «Ich brauch aber Geld.»
    «Wofür?»
    Ich überlegte, doch dann fiel mir nichts ein, was vernünftig geklungen hätte.
    «Für alles», sagte ich schließlich.
    Er lachte.
    «Ich meine es ernst», sagte ich.
    «Ich weiß. Du willst es haben, weil es sich gut anfühlt. Aber erst wirst du ausgenutzt und fühlst dich deshalb schlecht. Und nachher ist es schlimmer als vorher.»
    «Ich weiß nicht.»
    «Stell dir vor, du wärst immer schon hier gewesen. Dann ging’s dir besser, als wenn du ein paar Monate ins Hilton ziehst und dann wieder hierher zurückmusst.»
    «Immerhin», fing ich an, konnte den Satz aber nicht zu Ende bringen, weil ich darüber nachdachte, ob er womöglich recht hatte, auch wenn ich es nicht glaubte und nicht glauben wollte.
    «Ich hab es immer gehasst, auf Baustellen für teure Häuser», sagte er, und dann merkte er, dass über dem Gespräch sein Zigarillo ausgegangen war.
    «Passiert mit Zigaretten nicht», sagte er. «Aber die hier sind gut gegen die Mücken und gesünder, die kannst du nicht auf Lunge rauchen, oder du kriegst die Scheißerei.»
    Es war noch nicht spät am Abend und immer noch hell. In unserem Rücken waren die Stimmen der Urlauber, die wir nicht sahen. Ein kleines Kind kreischte in kurzen Abständen schrill auf, und ich erkannte es sofort, weil es mehrmals am Tag solche Schreie losließ, die wahrscheinlich nichts bedeuteten.
    «Hast du beim Boxen Geld verdient?», fragte ich.
    «Ich hab’s versucht. Aber ich bin nie Profi gewesen.»
    «Wolltest du nicht?»
    «Doch. Es reicht nur nicht, irgendwas zu wollen. Das ist nicht wie in
Rocky

    «Wie ist es denn?»
    «Übel», sagte er. «Und schäbig. Soll ich dir mal was zeigen?»
    «Gern», sagte ich. Doch er war schon aufgestanden. Er warf seinen Zigarillorest in einen Eimer neben der Treppe und ging in seinen Wagen. Wieder draußen, hielt er mir ein Stück Papier in einer Plastikhülle

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