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Die Glücksparade

Die Glücksparade

Titel: Die Glücksparade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Martin Widmann
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hatte, anders fühlte als vorher, konnte es aber nicht. Ich spürte nur einen seltsamen Druck auf den Augen, als hätte ich zu lange in die Sonne geschaut. Kurz darauf stand ich auf und verabschiedete mich. Ich hob den Schubkarren an und ging davon und wünschte, die Flaschen hätten dabei kein Geräusch gemacht.

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    [15]
    Am ersten Schultag nach den Ferien war Erik nicht da und auch nicht am zweiten und dritten. Das hatte nicht unbedingt etwas zu bedeuten, auch im vergangenen Jahr hatte er häufig gefehlt. Trotzdem rief ich am Wochenende bei ihm an, um zu fragen, was los sei. Ich versuchte es mehr als zehnmal, bevor er abnahm.
    «Bist du krank?», sagte ich.
    «Ich komm nicht mehr», sagte er.
    «Warum nicht?»
    «Keine Lust.»
    «Soll ich in den nächsten Tagen mal vorbeikommen?», fragte ich.
    «Wieso denn?»
    «Nur so. Und wegen der Scherbe, dachte ich.»
    «Aber ich bin gar nicht zu Hause.»
    «Wo bist du denn?»
    Es entstand eine Pause, während deren wir beide nur so vor uns hin atmeten.
    «Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen kann», sagte Erik irgendwann.
    «Ist es ein Geheimnis oder was?»
    «Nein, das nicht, aber es braucht nicht jeder zu wissen.»
    «Natürlich», sagte ich.
    «Ich bin im Krankenhaus», sagte er schließlich.
    «Was hast du denn?», fragte ich.
    «Nichts. Ich bin halt krank.»
    «Soll ich mal vorbeikommen?», fragte ich wieder.
    «Ich weiß nicht. Ich glaub nicht. Ich weiß auch nicht, ob das geht.»
    «Wieso sollte das nicht gehen?»
    Erik blies wieder hörbar in die Leitung.
    «Ich muss das klären», sagte er dann, und ich antwortete, ich würde noch mal zurückrufen. Es ärgerte mich, dass ich ihm etwas anbot, über das er sich eigentlich hätte freuen müssen, und er mir das Gefühl gab, es sei ihm im Grunde egal. Vielleicht war es das auch, doch nun, da ich wusste, dass er im Krankenhaus lag, wollte ich auch erfahren, was los war mit ihm. Deshalb rief ich später am Tag, nachdem ich mit Benni noch einmal bis zum Bahndamm gegangen war, wieder bei ihm an. Auch dieses Mal nahm er nicht gleich ab.
    «Warum gehst du nicht dran?», fragte ich, als er sich endlich meldete.
    «Ich war nicht auf dem Zimmer», sagte er. Ich stand am Fenster, draußen hockte eine dicke Taube im Gras, und ich überlegte, ob sie verletzt war, weil sie so behäbig wirkte und sich nicht bewegte.
    «Also, das ginge», sagte Erik. «Wenn du herkommen willst. Du müsstest aber vorher Bescheid sagen, wann.»
    «Keine Ahnung», sagte ich. «Irgendwann nach der Schule.»
    «Ja», sagte er. «Aber wann?»
    «Was weiß ich», sagte ich, und dann schlug ich ohne Grund Mittwoch vor. Erik sagte, er wolle seiner Ärztin Bescheid sagen. Die Taube vor meinem Fenster reckte den Kopf, ihr Gefieder sträubte sich, und sie flog davon.
    «Was hast du überhaupt?», sagte ich. Genau in diesem Moment fing jemand an zu hupen, wahrscheinlich draußen auf dem Parkplatz. Es war zu hören, dass es auf eine ungeduldige Art geschah, und das Geräusch übertönte meine Stimme, sodass ich wiederholen musste, was ich gesagt hatte.
    «Na ja», sagte Erik. «Das weiß eigentlich niemand so genau. Aber jetzt bin ich erst mal hier.» Er lachte.
    «Wo ist hier?», fragte ich, und er lachte wieder.
    «Waldenhoff-Klinik.»
    «Ist das schwer zu finden?», fragte ich.
    «Ich glaub nicht», sagte er.
     
    Am Mittwoch sagte ich meinen Eltern, ich wolle Erik am Nachmittag treffen und sie bräuchten mich nicht von der Schule abzuholen. Mein Vater ging neben dem Küchentisch auf und ab. Er blies in einen riesigen Kaffeebecher und war gerade dabei gewesen, uns seine Pläne für diesen Tag mitzuteilen. In der Stadt wollte er zum Baumarkt fahren und ein Rostschutzmittel besorgen, mit dem er einige Stellen am Container einstreichen würde, und er hatte wissen wollen, ob ich ihm helfen könne.
    «Es geht auch allein», sagte er jetzt und trank einen Schluck. Er zog seinen Geldbeutel aus der Hose, gab mir einen Zehneuroschein und sagte, ich solle mir davon mittags etwas zu essen kaufen.
    Nach der letzten Stunde ging ich in den Computerraum, wartete, bis ein Platz frei wurde, und suchte nach der Klinik. Auf der Internetseite stand, es sei eine Fachklinik für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. Es gab Bilder von den Zimmern und von einem Park, und ich fand auch eine Wegbeschreibung.
    Als Nächstes ging ich zu einer Selbstbedienungsbäckerei und kaufte mir zwei gezuckerte Apfelkringel. Einen aß ich gleich im Gehen; die Tüte mit dem

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