Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
aufgelöst werden, und die Mitglieder unserer Gemeinschaft würden auf verschiedene Klöster aufgeteilt werden.«
Entsetzte Blicke ruhten auf ihr, einige der Schwestern wirkten regelrecht elektrisiert.
»Ich möchte gern, dass wir alle gemeinsam überlegen, was wir tun können, um unsere Gemeinschaft vor dem Untergang zu bewahren«, schloss Schwester Lioba.
»Dann würde das, was Hildegard von Bingen vor über 800 Jahren geschaffen hat, untergehen«, sagte Schwester Raphaela sanft und blickte die Äbtissin an, als wäre sie persönlich dafür verantwortlich.
»So ist es«, bestätigte Schwester Lioba gelassen.
»Aber das geht nicht«, rief Schwester Teresa entsetzt. »Das Kloster hat mehr als 800 Jahre überlebt. Wir können nicht zulassen, dass wir es zugrunde richten.«
»Das haben wir auch nicht.« Schwester Heidrun schüttelte tadelnd den Kopf. »Wir haben unter den Folgen der Rezession zu leiden, genau wie viele Unternehmen in Deutschland auch. Das ist nicht unsere Schuld.«
»Wir sind kein Unternehmen«, bemerkte Schwester Raphaela düster. »Wir sind eine kirchliche Gemeinschaft.«
»Die von irgendetwas leben muss«, wandte SchwesterAgnes ein. »Und da der Ertrag der Restaurierungswerkstatt für unseren Lebensunterhalt nicht mehr ausreicht, müssen wir uns eben etwas anderes ausdenken.«
Die Temperatur im Raum schien anzusteigen. Schwester Lioba warf einen Blick zum Fenster, das noch immer offen stand, und wischte sich unauffällig die feuchten Handflächen an ihrem Habit ab. Sie begegnete dem fragenden Blick Silvia Neureuthers. Die Äbtissin nickte ihr zu. Es war Zeit, mit dem konstruktiven Teil des Workshops zu beginnen. Silvia Neureuther erhob sich und stellte sich neben das Flipchart, das sie in einer Ecke des Raumes aufgebaut hatte.
»Wir sollten uns nun Gedanken darüber machen, welche Möglichkeiten es grundsätzlich gibt, den wirtschaftlichen Erhalt des Klosters zu sichern. In dieser ersten Phase der Ideensammlung sollten wir uns keinerlei Beschränkung auferlegen, was Inhalt und Art der Ideen betrifft. Wir werden erst in einem weiteren Schritt die Ideen aussortieren, die nicht realisierbar sind.«
»Wie wäre es mit Weinbau?«, rief Schwester Cäcilia, eine begeisterte Weintrinkerin. Sie hatte früher im Klosterladen gearbeitet und war nun schon seit einigen Jahren freigestellt, um sich ganz der Betreuung von Schwester Birgit zu widmen, die an Alzheimer erkrankt war.
»Aber dann würden wir den Schwestern der Abtei Hildegard in Eibingen Konkurrenz machen«, protestierte Schwester Brigitta. »Außerdem bräuchten wir doch Land für die Rebstöcke.«
»Der Markt ist groß genug, um den Wein von zwei Klöstern verkaufen zu können«, sagte Schwester Philippa begeistert, »und das Land könnten wir doch pachten.«
»Und woher nehmen wir das Geld dafür?«, fragte Schwester Heidrun mit erhobener Stimme. »Außerdem dauert das viel zu lange, bis es Gewinn abwirft.«
Weitere Stimmen erhoben sich. Schwester Lioba hob mahnend die Hand.
»Im ersten Schritt sammeln wir nur alle Ideen«, sagte sie geduldig.
Triumphierend hob Schwester Cäcilia den Blick. Ihre rosigen Wangen verfärbten sich zu einem kräftigen Rot.
»Weinbau«, wiederholte sie mit zufriedener Stimme und verfolgte, wie die Unternehmensberaterin das Stichwort auf dem Flipchart notierte.
Zwei Stunden später hatten etwa fünfzig Vorschläge ihren Weg auf die Stichwortliste gefunden. Die meisten wurden jedoch wenig später bei der zweiten Runde wieder gestrichen.
Schwester Lioba blickte sich im Rekreationsraum um. Viele Schwestern wirkten frustriert, einige senkten traurig den Kopf. Nur Schwester Raphaela schien in den vergangenen Stunden förmlich aufgeblüht zu sein. Sie blickte zufrieden in die Runde.
Nachdenklich sah Schwester Lioba zu Silvia Neureuther, die immer noch gelassen wirkte und gerade das Stichwort »Hochzeitskleider« durchstrich. Sie hatten zwar eine kleine Schneiderei im Kloster, und Schwester Katharina war eine sehr tüchtige Schneiderin, doch bisher hatte sie ausschließlich geistliche Kleidung genäht, und Schwester Katharina war überzeugt davon, dass niemand sie ernst nehmen würde, wenn sie als Schwestern eines benediktinischen Ordens auf einmal Hochzeitskleider nähen wollten. Außerdem würde es dem Ansehen des Konvents schaden, davon war insbesondere Schwester Teresa überzeugt.
Schwester Lioba seufzte und rieb sich die Augen. Die Unternehmensberaterin gab sich alle erdenkliche Mühe, doch sie konnte
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