Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
fast leer. Ein bieder wirkendes Paar Ende dreißig in steifer Festtagskleidung übte die Grundschritte des langsamen Walzers und mühte sich mit einer halben Drehung. Ein weiteres Paar, deutlich jünger und glamourös herausgeputzt, kurvte mit weit ausholenden Schritten am äußeren Rand entlang. Paul betrat die Tanzfläche und bot den Arm, in den sich Emma bereitwillig hinein schmiegte.
Paul brauchte nur einen Moment, um den Takt aufzunehmen. Sie tanzten fast zwei Stunden ohne Pause. Emma nahm nur am Rande wahr, dass eine Polizeistreife in die Bar kam und erst nach längeren Diskussionen mit dem Besitzer wieder den Rückzug antrat. Auf Pauls fragenden Blick antwortete Emma nur kurz »Karfreitag«. Später bemerkte sie, dass der Barbesitzer ein handgeschriebenes Schild nach draußen hängte mit der Aufschrift »Private Veranstaltung«.
Kurz nach Mitternacht sank Emma auf ihren Stuhl und bestellte eine große Flasche Wasser und zwei Gläser. Paul orderte noch ein Bier. Ohne ein Wort zu wechseln, saßen sie einträchtig nebeneinander und sahen den anderen Paaren beim Tanzen zu. Die Bar hatte sich gefüllt.
»Was hat Grieser gesagt?« Sie wandte sich an Paul, als die Musik »Bésame mucho« spielte, eine gefühlvolle Rumba.
»Er hat nicht viel verraten.« Paul griff nach seinem Bier, das er mit einem energischen Zug leerte. Dann hob er das Glas und nickte der Kellnerin zu. Emma musterte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen.
»Das stimmt nicht«, stellte sie gelassen fest.
Paul verzog den Mund zu einem schiefen Lachen. Dann wurde er wieder ernst. Er ließ ein Frauenpaar nicht aus den Augen, beide nicht mehr die Jüngsten, die mit unscheinbarer Straßenkleidung auf die Tanzfläche getreten waren und nun tanzten, als wollten sie jedes Herz im Raum zum Schmelzen bringen.
»Bitte«, sagte Emma.
»Ich habe versprochen, nichts zu sagen«, erwiderte Paul.
»Es würde mir helfen, wenn ich wüsste, was passiert ist.«
Paul schüttelte den Kopf und griff nach seinem Bier. »Ich kann nicht. Grieser wird mir nie wieder vertrauen, wenn er das mitkriegt.«
»Woher sollte er das erfahren? Das bleibt ein Geheimniszwischen dir und mir. In spätestens zwei oder drei Wochen wird die Polizei ohnehin weitere Details bekanntgeben. Dann weiß ich es auch offiziell.«
Paul seufzte. »Aber das bleibt wirklich unter uns.«
Emma nickte.
»Es ist allerdings ziemlich grausig. Hertl wurde mit einem Elektroschocker betäubt. Dann wurde ihm sein Penis abgeschnitten und in den Mund gestopft. Er ist an seinem eigenen Schwanz erstickt.«
Emma richtete sich entsetzt auf. Ihre Blicke kreuzten sich, und sie sah ihm an, dass er bereits bereute, etwas gesagt zu haben. Hastig stand sie auf und stürzte zur Toilette.
OSTERSAMSTAG
26. Kapitel
Dies brennt aber doch so heftig, daß solche Männer im Verkehr mit Weibern ungezügelt sind wie Tiere und Schlangen.
Die Luft im Tagungsraum war stickig. Schwester Lioba gab der Priorin ein Zeichen, damit sie ein Fenster zum Lüften öffnete. Gleich nach dem Konventamt hatten sie sich hier versammelt. Trotz des ungebührlichen Termins waren alle gekommen. Nun stand Silvia Neureuther vor den Schwestern und eröffnete den Workshop mit ein paar einleitenden Worten. Sie schilderte den Mitgliedern des Konvents, dass es heute nur um das Sammeln von Vorschlägen und Ideen ging, eine Entscheidung stand im Moment noch nicht an. Dann übergab Neureuther das Wort an Schwester Lioba.
Die Äbtissin erhob sich und blickte in die Runde. Einige der Schwestern erwiderten ihren Blick, andere sahen zu Boden und schienen sich weit weg zu wünschen. Schwester Lioba schaute zu Schwester Raphaela, die freudig erregt wirkte.
Die Äbtissin schilderte in knappen Worten, wie brisant ihre finanzielle Situation war. Dann nickte sie Schwester Erika zu, die einen detaillierten Bericht der Buchprüfung und die vorläufige Bilanz vortrug. Während sie sprach,blickte sich Schwester Lioba im Raum um. Einige der Schwestern hatten besorgte Gesichter, andere schienen immer noch nicht begriffen zu haben, wie schlecht es um sie stand.
Als Schwester Erika ihren Vortrag beendet hatte, stand die Äbtissin erneut auf. »Liebe Mitschwestern, wenn uns die Diözese finanziell unterstützt, können wir vielleicht noch sechs Monate durchhalten. In der Zeit muss es uns gelingen, eine neue Einnahmequelle zu finden. Sonst müssen wir aufgeben. Das würde bedeuten, das Kloster Rupertsberg würde für immer schließen. Der Konvent würde
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