Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sie senkte den Kopf und stimmte ein Gebet an, das ihnen allen Zuversicht geben sollte.
Während die Worte wie selbstverständlich über ihre Lippen kamen, musste sie daran denken, wie viel Hoffnung sie in den Besuch von Silvia Neureuther und diesen Workshop gesetzt hatte. Und nun war nichts dabei herausgekommen. Das bedeutete, sie war mehr denn je abhängig vom Geld der Diözese, um diese schwere Zeit zu überbrücken. Und damit war sie auch abhängig von Josef Windisch und davon, dass er ihr Gesuch beim Bischof um finanzielle Hilfe befürwortete.
27. Kapitel
Sie lieben des Weibes Gestalt bei der Vereinigung so sehr, daß sie sich nicht halten können, weil ihr Blut in großer Hitze entbrennt, wenn sie eine Frau sehen oder hören oder in ihren Gedanken sich ihrer erinnern.
»Der Journalist glaubt, dass es am Ostersonntag zu einem weiteren Vorfall kommen wird«, sagte Grieser und griff nach seiner Tasse.
Sabine Baum zog skeptisch die Augenbrauen hoch.
Grieser trank einen Schluck. »Er war auch schon sicher, dass an Karfreitag noch etwas passieren würde.«
Baum blinzelte. »Deshalb hast du die Wache verstärkt.« Grieser nickte.
»Aber die Streife konnte es nicht verhindern«, sagte seine Kollegin düster.
»Der Mörder kam nicht von außen. Sonst hätte die Streife was gesehen.«
»Vielleicht.« Die Oberkommissarin stand auf, um sich ebenfalls Kaffee einzuschenken. »Vielleicht hätte sie was gesehen. Es wurde nicht lückenlos patrouilliert. Aber wir wissen von Schwester Adelgund, dass in der Nacht von Samstag auf Palmsonntag die Tür vom Gästehaus offen stand. Jeder hätte Zugang zum Klosterhof gehabt.«
»Aber nicht jeder hätte es gewusst«, wandte Grieser ein. Er griff nach dem Berliner auf seinem Teller und biss zaghaft hinein. Der Teig fühlte sich klebrig und kompakt an.
»Wer ist noch übrig?«, sagte Grieser zu Baum, und beide wussten, dass es eine rhetorische Frage war. »Thomas Kern, der Gynäkologe aus Afrika, und Josef Windisch, der Bischofsanwärter.« Er legte den Berliner auf den Teller zurück und wischte sich die klebrigen Finger.
Sabine Baum nickte. »Wir haben beide überprüft, mehrfach. Nichts, was sie verdächtig macht. Kern war in der Nacht in Heidelberg …«
»Von wo aus er in kürzester Zeit in Bingerbrück hätte sein können«, wandte Grieser ein. »Nachts bei leeren Straßen schafft er das in einer guten halben Stunde.«
»Dann hätte er mit Bleifuß fahren müssen.«
»Und Lehmann, der Leiter des Internats.« Grieser legte beide Arme auf den Tisch. »Und Schwester Lioba nicht zu vergessen. Alle vier könnten es gewesen sein. Sie hatten die Gelegenheit, keiner hat ein Alibi. Also warum kommen wir bei der Sache einfach nicht weiter?«
»Vielleicht weil es keinen Beweis gibt? Gegen keinen von den vieren? Oder vielleicht weil wir kein Motiv finden?« Baum lächelte schief.
»Stimmt«, brummte Grieser. Er war wütend, weil er den zweiten Mord nicht hatte verhindern können. Doch war es jetzt wirklich zu Ende? Paul hatte schon von Ostersonntag gesprochen. Ob er wirklich glaubte, dass ein weiterer Mord stattfinden würde?
Der Postbote hatte am Morgen die deutsche Ausgabe der naturwissenschaftlichen Schriften Hildegards von Bingen gebracht. Gegen Mittag setzte Emma sich mit einem Imbiss und einem Glas Milch ins Wohnzimmer und machte es sichauf dem Sofa gemütlich. Sie biss von ihrem Brot, wischte sich die Finger an ihrer Jeans ab und schlug das Buch auf. Es war eine Übersetzung aus den 1930er Jahren von dem deutschen Pharmakologen Hugo Schulz. Emma überflog etliche Seiten, dann blieb sie bei den Passagen hängen, in denen sich die Ordensfrau mit der menschlichen Sexualität auseinandersetzte. Emma war verblüfft, mit welcher Offenheit Hildegard von Bingen selbst kleinste Details beschrieb. Allmählich begriff sie, warum Markus Hertl geglaubt hatte, dass die überlieferten Textstellen für die Kirche bereits genug Sprengstoff boten.
Natürlich drängte sich auch ihr die Frage auf, woher eine zölibatär lebende Ordensfrau solche detailreiche Kenntnis über die menschliche Sexualität hatte. Doch das würde wohl das Geheimnis der Ordensfrau bleiben. Emma legte das Buch zur Seite und griff nach einer Biografie Hildegards von Bingen, die mit der gleichen Post gekommen war. Sie überflog einige Kapitel und stellte fest, dass Hildegard von Bingen in ihrer Autobiografie geschrieben hatte, dass sie im Alter von acht Jahren
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