Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
nicht verhindern, dass sich allmählich Niedergeschlagenheit breitmachte. Die Äbtissin bereute es, dass sieSilvia Neureuther darum gebeten hatte, den Workshop zunächst ausschließlich unter Beteiligung der Schwestern zu gestalten. Die Professionalität dieser Frau war nicht zu unterschätzen und wenn sie etwas im Moment dringender brauchten denn je, dann war das Professionalität. Die Unternehmensberaterin konnte mit Sicherheit Vorschläge machen, die zumindest eine geringe Aussicht auf Erfolg hatten.
Am Flipchart trat nun die Beraterin zur Seite. Von den ursprünglich rund fünfzig Stichworten waren nach langen Diskussionen noch drei geblieben.
»Klosterladen ausbauen« stand dort zu lesen, »mehr geistliche Kleider schneidern« und »mehr kirchliche Schriften« restaurieren.
Schwester Lioba seufzte. Das sah nun nicht gerade nach dem Neuanfang aus, den sie sich von diesem Workshop erhofft hatte. Sie hatten in den vergangenen Monaten bereits mehrfach Anstrengungen unternommen, ihre bisherigen wirtschaftlichen Tätigkeiten auszubauen. Doch die Rezession und auch die Veränderungen innerhalb der Kirche hatten ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Die Äbtissin richtete sich auf. Als sie dem triumphierenden Blick von Schwester Raphaela begegnete, zuckte sie zusammen. Sie spürte, dass bei vielen Schwestern der Wille zur Veränderung nachließ.
Schwester Raphaela bat um das Wort. »Es ist erst wenige Wochen her, dass unsere ehrwürdige Mutter zur Oberin gewählt wurde«, begann sie. »Die Wahl fand jedoch unter falscher Voraussetzung statt.«
Schwester Lioba erstarrte. Ungläubig sah sie Schwester Raphaela an.
»Als Schwester Lioba von unserem Konvent gewählt wurde, dachten wir alle, das Kloster befinde sich in guten Händen.« Sie stockte, blinzelte und korrigierte sich dannohne Eile. »Wir glaubten, das Kloster habe eine stabile wirtschaftliche Basis. Doch das war leider ein Irrtum, wie uns Schwester Lioba nun mitteilt.«
Schwester Raphaela nickte der Äbtissin mit ernstem Blick zu, als wäre sie für dieses finanzielle Desaster verantwortlich.
»Wer weiß, wie die Wahl ausgefallen wäre, wenn wir alle gewusst hätten, dass ein Neuanfang notwendig ist und das Kloster dringend eine starke Hand braucht.« Schwester Raphaela lächelte grimmig. »Doch nun werden wir wohl damit leben müssen, dass unsere ehrwürdige Mutter möchte, dass wir uns alle gemeinsam einigen. Ich fürchte, das wird ein mühsames Unterfangen. Vielleicht wäre es notwendig, eine starke und unpopuläre Entscheidung zu treffen.«
Schwester Raphaela setzte sich und sah sich beifallheischend um. Einige Schwestern starrten sie sprachlos an, einige wiegten bedächtig den Kopf, wieder andere blickten erschreckt zu Schwester Lioba. Die Äbtissin sog scharf den Atem ein. Dann erhob sie sich.
»Liebe Schwestern«, sagte sie und sah in die Runde. »Wir sollten auf die Kraft des Herrn vertrauen. Er bestimmt seit mehr als 800 Jahren das Geschick des Klosters und wird es auch weiterhin tun. Wir sind die Nachfolgerinnen Hildegards und ihrer Gemeinschaft. Und das werden wir auch weiterhin sein.«
Schwester Raphaela schürzte die Lippen und zog die Augenbrauen zusammen. Schwester Lioba ließ sich ihren Ärger nicht anmerken. Ihre Aufgabe als Leiterin dieses Ordens war es, den Mitschwestern die Kraft zu geben, jeden Tag aufs Neue ein gottgefälliges Leben zu führen.
»Sprecht mit mir das Vaterunser und erinnert euch daran, warum ihr in den Orden eingetreten seid. Die Kraft, die ihr daraus schöpft, wird euch jeden Tag tragen.«
Schwester Lioba musste an Schwester Adelgund denken,die noch gestern Abend mit Straßenkleidung und einem einfachen Koffer das Kloster verlassen hatte. Sie hatte ihr geraten, sich von den Mitschwestern zu verabschieden. Doch Schwester Adelgund hatte sich außerstande gefühlt, diese Kraft aufzubringen. So hatte sie gepackt, während ihre ehemaligen Mitschwestern in der Vesper waren. Als die Schwestern zu Tisch saßen, hatte sie dem Kloster endgültig den Rücken gekehrt. Schwester Lioba hatte die Gemeinschaft später mit wenigen Worten unterrichtet.
Die Äbtissin atmete tief durch und faltete die Hände. Sie sah in die Gesichter, die ihr erwartungsvoll zugewandt waren. Schwester Philippa wirkte verstört, und Schwester Cäcilia schien sich auf einen Neuanfang zu freuen. Bei der Priorin überwog eindeutig der Ärger auf Schwester Raphaela.
Was für eine verrückte Zeit, dachte Schwester Lioba. Umso wichtiger, sich
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