Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
beim Abendessen das letzte Mal begegnet. Anschließend verabschiedete sie sich von uns und verließ zusammen mit Thomas Kern das Gäste-Refektorium. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen.«
»Was für einen Eindruck hat Frau Schürmann auf Sie gemacht?«, fragte Sabine Baum.
Grieser blickte von seinen Notizen auf und musterte den Geistlichen nachdenklich. Windisch war übergewichtig und hatte weiche Gesichtszüge mit einem missbilligenden, fast feindseligen Ausdruck. Nun zog er die Augenbrauen zusammen, sonst konnte Grieser seinem Gesicht keine Regung entnehmen.
»Unruhig«, erwiderte Windisch.
Baum runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
Windisch zuckte die Achseln. »Genauer kann ich dasnicht erklären«, meinte er. »Das war nur so ein Eindruck. Sie wirkte irgendwie unruhig. Ich hatte das Gefühl, sie war froh, das Kloster hinter sich lassen zu können. Sie konnte gar nicht schnell genug wegkommen.«
»Was könnte der Grund für diese Unruhe gewesen sein?«, fragte Grieser.
Windisch zögerte. »Am Abend zuvor habe ich sie mit Markus Hertl sprechen hören. Sie wirkte ziemlich aufgebracht.«
»Haben Sie mitbekommen, worum es ging?«
Windisch schüttelte den Kopf. »Ich konnte nicht verstehen, was sie gesprochen haben.«
»War es ein Streit?«, fragte Baum.
»Nein«, erwiderte Windisch. »Es wirkte eher wie eine hitzige Debatte.«
»Um wie viel Uhr war das?«, wollte Grieser wissen.
»Das war nach den Vigilien. Ich kam aus der Kirche und war auf dem Weg in mein Zimmer. Also gegen 21 Uhr. Als ich an ihrem Zimmer vorbeiging, hörte ich die Stimmen der beiden.«
»Können Sie sich vorstellen, warum Markus Hertl an dem Abend das Gespräch mit Miriam Schürmann gesucht hat?«, fragte Sabine Baum.
Windisch verneinte.
»Vielen Dank«, erwiderte Grieser und seufzte verstohlen. »Es kann sein, dass wir in den nächsten Tagen mit weiteren Fragen auf Sie zukommen.«
Windisch nickte. Ohne weiter auf die Polizisten zu achten, stand er auf und verabschiedete sich mit dürren Worten. Grieser schob sein Notizbuch von sich.
»Wir laufen gegen die Wand«, sagte er düster. »Die Befragungen haben bisher nichts gebracht, die Auswertungen vom Computer und der Wohnung der Toten sind bisher ohneweitere Ergebnisse verlaufen, und die Spurensicherung hat auch nichts Neues.«
Sabine Baum rieb sich müde das Gesicht. Grieser stand auf und blickte sie fragend an.
»Wie wäre es mit einer Runde im Klostergarten?«
»Klingt gut«, erwiderte die Oberkommissarin dumpf.
Schweigend verließen sie das Gästehaus durch den unteren Ausgang. Die nördliche Außenwand war Teil der Klostermauer, die das Gebäude zum Rhein hin abgrenzte. Am Fuß der Mauer lagen geometrisch angelegte Kräuterbeete, von niedrigen Buchsbaumhecken begrenzt. Die Sonne tauchte zwischen den Wolken auf, und ein böiger Wind trieb vereinzelte braune Blätter vor sich her. Grieser betrat einen feingekiesten Weg zwischen den Beeten. Baum folgte ihm und blieb nach wenigen Metern an einem halbhohen Messingschild stehen.
»Spitzwegerich«, las sie vor, »Johanniskraut, Thymian.«
Grieser trat neben sie. »Hertl«, sagte er. »Hertl hat das Motiv und die Gelegenheit.«
»Lass uns erst die anderen durchgehen«, schlug Baum vor. Sie vergrub die Hände in den Taschen ihrer dünnen Jeansjacke.
Grieser schwieg. Sie starrten einträchtig auf die Erde, aus der sich grüne Spitzen schoben, Liebstöckl, wie das Schild verkündete.
»Windisch hat sie gehen sehen«, nahm Grieser den Faden wieder auf. »Sie ist vermutlich ins Gästehaus zurückgekehrt und hat ihr Gepäck geholt. Kern hat ausgesagt, er verabschiedete sich im Eingangsbereich des Gästehauses von ihr. Dann holte er seine Tasche aus dem Zimmer, ging zu seinem Wagen und fuhr los.«
»Dafür gibt es keine Zeugen«, wandte Baum ein.
»Er hat beim Kiosk einen Zwischenstopp eingelegt. Dorthat er etwas gegessen und fuhr dann weiter nach Heidelberg. Seine Ankunftszeit passt.«
»Wir haben ihr Gepäck und ihre Kleidung im Heizungskeller gefunden«, fasste Baum zusammen. »Sie hat das Haus nicht mehr verlassen. Jemand hat sie in den Waschkeller gelockt, sie betäubt, entkleidet, gefesselt, gebrandmarkt, schwer verletzt und dann liegenlassen. Fünfzehn Minuten, wenn man schnell ist.«
»Da muss einer schon ziemlich abgebrüht sein«, meinte Grieser zweifelnd.
»Kern hätte es schaffen können. Nachts hätte er zurückkehren können, den Raum ausspritzen, die Tote in die Kirche verfrachten, ihre Sachen
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