Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
geschehen ist? Können Sie sich an irgendetwas erinnern?«
Hinter der Frau erklang Babygeschrei. Monika Weltner blinzelte, rührte sich aber nicht.
»Nein«, sagte sie abweisend, »daran kann ich mich nicht erinnern. Ist zu lange her.«
Sie trat einen Schritt zurück und legte ihre Hand auf den Türgriff. Das Schreien des Babys wurde lauter. Ein Mann tauchte im Dunkeln des Hausgangs auf. Er schien einige Jahre jünger zu sein als Monika Weltner und trug einen Säugling auf dem Arm, der sich laut schreiend hin und her wand. Die Verzweiflung stand dem Mann ins Gesicht geschrieben. Sein Blick huschte von Monika Weltner zu Emma und wieder zurück.
»Monika, könntest du vielleicht …?«, fragte er und ließ sich erschöpft gegen die Wand sinken.
Monika Weltner wandte sich nur flüchtig um und kräuselte missbilligend die Stirn. Dann heftete sie ihren Blick wieder auf Emma.
»Tut mir leid«, sagte sie laut, um das Baby zu übertönen. »Die Frau hier braucht einige Auskünfte von mir. Es wird noch ein paar Minuten dauern.«
Sie trat in den Vorgarten, ging an Emma vorbei und umrundete die nächstgelegene Hausecke. Emma warf einen mitleidigen Blick zurück. Das Baby schrie verzweifelt, und der Mann versuchte es jetzt halbherzig mit einem Wiegenlied.
Monika Weltner war mitten auf dem kurzgeschorenen Rasen stehen geblieben.
Emma trat zu ihr und nickte freundlich. »Ist Ihnen noch etwas eingefallen?«
Weltner steckte sich eine Zigarette in den Mund, zündete sie an und schob das Feuerzeug zurück in ihre Hosentasche. Gierig inhalierte sie.
»Macht eine Menge Arbeit, so ein Kind«, sagte sie, legte den Kopf in den Nacken und stieß den Rauch aus.
»Palmsonntag«, wiederholte sie nachdenklich. Erneut nahm sie einen Zug von ihrer Zigarette.
»Eine Woche, bevor Pater Benedikt sich das Leben genommen hat«, half Emma ihrer Erinnerung auf die Sprünge.
Monika Weltner stieß den Atem aus und sah versonnen den Rauchwolken nach. »Tagsüber passierte nichts Aufregendes«, begann sie, »jedenfalls nichts, an das ich mich erinnern könnte. Abends hatten wir ein Treffen der Hildegard-AG. Pater Benedikt hatte schon in den Wochen davor mit uns über das naturwissenschaftliche Werk von Hildegard von Bingen gesprochen. Es ging um den Mensch und seineKrankheiten. An dem Abend kam er auf das Thema Sexualität zu sprechen.«
»War es das erste Mal?«, fragte Emma.
Monika Weltner nickte. »Ja«, sagte sie und nahm einen weiteren Zug. »Wir haben gemeinsam einige Passage aus den Übersetzungen gelesen. Einige aus der AG waren …« Sie zögerte. Plötzlich wirkte sie nervös. Hastig zog sie an ihrer Zigarette und stieß erneut den Rauch aus. Sie blickte zu Boden und scharrte mit der Schuhspitze in tadellos geschnittenen Grasbüscheln. »… peinlich berührt«, schloss sie dann.
»War Pater Benedikt anzüglich?«, fragte Emma.
Überrascht hob Monika Weltner den Kopf. »Nein«, sagte sie und lächelte. »Das war er nie. Es war ihm ernst, sehr ernst. Er versuchte uns zu vermitteln, dass Sexualität ein wichtiger Trieb des Menschen ist, den man nicht unterdrücken darf. Im Verborgenen kann leicht etwas Merkwürdiges daraus entstehen, sagte er.«
»Was genau meinte er damit?«
Weltner hob die rechte Schulter und ließ sie wieder fallen.
»Keine Ahnung«, sagte sie und stieß den Rauch aus ihrer Lunge. Sie warf die halb gerauchte Zigarette auf den Rasen und zerdrückte sie mit der Ferse.
»So, Sie entschuldigen mich«, sagte sie dann und wandte sich dem Haus zu. »Ich sollte jetzt dem Vater meines Kindes etwas unter die Arme greifen.«
Sie kehrten gemeinsam zur Haustür zurück.
»Was passierte an dem Abend?«, fragte Emma. »Wie endete das Gespräch über Sexualität?«
Weltner warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Keine Ahnung«, sagte sie. »Einige aus der AG haben sich so in Rage geredet, dass es ungemütlich wurde. Sie haben PaterBenedikt vorgeworfen, er würde das Ansehen der Kirche beschädigen, wenn er sich so ausführlich mit Sexualität beschäftigt. Das haben ich und einige andere so bescheuert gefunden, dass wir gegangen sind.«
Sie trat in die noch immer offenstehende Haustür.
Emma blieb stehen. »Wer?«, fragte sie. »Wer hat ihm das vorgeworfen?«
Monika Weltner trat ins Haus und legte die Hand auf die Türklinke. Sie horchte, aber im Innern war es ruhig. »Ich weiß nicht mehr.« Sie sah Emma gleichgültig an und schloss dann geräuschlos die Haustür.
Schwester Lioba setzte sich auf die steinerne Bank
Weitere Kostenlose Bücher