Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
hatte sie mehr Informationen zusammen, als sie zunächst erwartet hatte.
Miriam Schürmann war nach dem Abitur nach Berlin gegangen und hatte Physik studiert. Danach arbeitete sie ein Jahr in Hamburg am Institut für Geophysik. Im Anschluss schrieb sie am Institut für Meereskunde der Universität Hamburg ihre Doktorarbeit. Dann kam ein Forschungsaufenthalt an der Arizona State University in den USA, anschließend arbeitete sie im Fachbereich Physik derUniversität Bremen. 2008 war sie dann nach Süddeutschland zurückgekehrt. Seit zwei Jahren lebte sie in Mainz und arbeitete an einem Forschungsprojekt. In Kürze wollte sie eine Forschungsarbeit über die Strukturbildung von turbulenten Strömungen abschließen. Mit dieser Arbeit hätte sie die Voraussetzung geschaffen, um sich an einer Universität für einen Lehrstuhl zu bewerben.
Emma warf einen flüchtigen Blick auf die Liste von Aufsätzen und Büchern, die Miriam Schürmann in den vergangenen Jahren veröffentlich hatte. Hinweise auf eine Partnerschaft, Kinder oder Freunde hatte Emma nicht gefunden. Es sah so aus, als hätte sich die Tote ganz auf ihren Beruf konzentriert. Sie lebte allein in Bretzenheim, einem Stadtteil von Mainz. Vor drei Jahren hatte sie einen Aufruf gegen AKWs unterschrieben und vor zwei Jahren dem Mainzer Tierheim einen größeren Betrag gespendet, wie in einem alten Bericht der Allgemeinen Zeitung Mainz zu lesen war. Im vergangenen Jahr war sie zugunsten einer Stiftung für herzkranke Kinder bei einem Zehn-Kilometer-Lauf an den Start gegangen. Sie hatte in ihrer Altersklasse den 12. Platz von 19 Teilnehmerinnen belegt. In einem Forum über Klimaphysik war sie mit ihrer offiziellen beruflichen E-Mail-Adresse angemeldet und postete gelegentlich Beiträge, von denen Emma nur einen Bruchteil verstand. Das war’s.
Emma überlegte, was für ein Mensch Miriam Schürmann gewesen war. Sie war Dozentin an einer renommierten Universität, vermutlich alleinstehend, nicht unsportlich, diskutierte im Netz über Klimaphysik, machte sich für Tiere stark und für kranke Kinder. Wo würde ein solcher Mensch Geheimnisse verwahren?
Nachdenklich ging Emma in die Küche und holte sich einen frischen Kaffee. Da hörte sie, wie die Tür klappte.
»Hallo, Prinzessin«, rief Paul von vorne. Es polterte, als hätte er seine Tasche einfach auf den Boden fallen lassen.
»Hey, was für ein Stress«, sagte er und tauchte in der Tür zur Küche auf.
Emma lachte. »Kaffee?«, fragte sie.
»Bloß nicht.« Paul stöhnte. »Ich habe schon so viel intus, dass es für zwei schlaflose Nächte reicht.«
»Wie läuft die Gerichtsverhandlung?«
»Zäh«, sagte er und fuhr sich gähnend über das Gesicht. »Die beharken sich gegenseitig und kommen einfach nicht zu einem vernünftigen Ende.«
Er nahm sich ein Glas aus dem Schrank, das er unter den Wasserhahn hielt und dann in einem Zug leerte.
»Und wie lief ’s bei dir?«, fragte er und stellte das Glas auf der Spüle ab.
Emma gab ihm eine kurze Zusammenfassung, was die ehemaligen Mitglieder der Hildegard-AG erzählt hatten.
»Das heißt, in der Nacht vor Palmsonntag ist etwas passiert, vermutlich während des Treffens der Hildegard-AG oder im Anschluss daran. Dann hat sich der Pater am Karfreitag das Brandzeichen verpasst, oder jemand hat es ihm verpasst. Und am Ostersonntag hat er sich dann das Leben genommen. Aber warum?«
Paul setzte sich auf seinen Schreibtischstuhl und legte die Füße auf seinen Schreibtisch.
»Keine Ahnung«, erwiderte Emma. »Vielleicht ist er seinen Schülern zu nahe getreten, und die haben sich ein paar Tage später an ihm gerächt und ihn im wahrsten Sinne des Wortes gebrandmarkt.«
»Die hätten ihn doch einfach anzeigen können, dann hätte er seine Strafe bekommen«, sagte Paul.
»Wer hätte ihnen denn geglaubt?«, fragte Emma. »Das kennt man doch. Vorwürfe werden laut, der Priester streitetalles ab, wird im schlimmsten Fall versetzt, das war’s. Und an der neuen Schule macht er weiter wie zuvor. Vielleicht wollten sie das verhindern.«
»Mit einem Brandmal, das niemand sieht?«, sagte Paul zweifelnd.
»Wie wäre es damit: Die restlichen Schüler und Schülerinnen der AG haben an dem Abend einen Geheimbund gegründet. Zeichen der Mitgliedschaft ist ein Brandmal, ein Eselskopf in der Leiste.«
»Und warum hat die Tote ein frisches Brandzeichen?«, wandte Paul ein.
»Vielleicht hat sie sich damals verweigert?«
»Ach komm«, erwiderte Paul. »Klingt doch alles irgendwie
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