Die Glut des Bösen: Kriminalroman (German Edition)
im Innenhof des Kreuzgangs und zerpflückte das Stück Weißbrot, das sie beim Mittagessen unauffällig in die Tasche ihres Habits geschoben hatte. Sie zerkrümelte die Bröckchen in ihrer Hand und streute sie den Spatzen hin, die sich lärmend zu ihren Füßen versammelten. Schwester Lioba lächelte und beobachtete, wie die Spatzen eifrig nach den Brotkrumen pickten.
Plötzlich hielt sie inne und hob den Kopf. Am anderen Ende des Kreuzgangs erschien ein Schatten, der eilig an den alten Trauerweiden vorbeihastete und direkt auf sie zukam. Schwester Lioba seufzte, als sie die Priorin erkannte.
»Ehrwürdige Mutter, es tut mir leid, Sie zu stören, ich weiß, es ist die einzige Zeit des Tages, die Sie sich gönnen«, sagte Schwester Heidrun atemlos. Als sie sich neben Schwester Lioba niederließ, flogen die Spatzen auf, kehrten jedoch gleich wieder zurück. Schwester Lioba ließ die letzten Krümel fallen.
»Sie sollten die Sache nicht auf sich beruhen lassen«, fuhr Schwester Heidrun unbeirrt fort. Grimmig musterte sie die Vögel, die sich um die Brocken stritten.
»Was meinen Sie?«, fragte Schwester Lioba. Sie ahnte bereits, was kommen würde.
»Ein Mitglied unserer Gemeinschaft verletzt eine der Grundregeln unseres Ordens. Die Mitschwester sollte sich dazu bekennen und die Konsequenzen ihres Verhaltens tragen.«
»Sie haben natürlich recht«, stimmte Schwester Lioba zu. »Doch bisher wissen wir noch nicht, um welche der Schwestern es sich handelt.«
»Schwester Brigitta weiß, wer es ist«, wandte die Priorin ein.
»Schwester Brigitta wartet nur darauf, dass sie eine unserer Mitschwestern denunzieren kann. Ich bin nicht bereit, ihr unsoziales Verhalten durch eine Rückfrage zu fördern.«
»Ich denke nicht, dass es sich um unsoziales Verhalten handelt«, protestierte Schwester Heidrun. »Im Gegenteil, sie handelt ganz im Sinne unserer Gemeinschaft.«
»Wenn Schwester Brigitta in ihrem Verhalten gestärkt wird, so wird sie weiterhin jede ihrer Mitschwestern belauern, um sie bei der geringsten Verfehlung zu melden. Das dulde ich nicht in meinem Konvent«, erwiderte Schwester Lioba. Eine steile Falte grub sich zwischen ihre Augenbrauen.
»Schwester Mechthild«, erwiderte Schwester Heidrun, »sie …«
»Unsere ehrwürdige Mutter Oberin lebt nicht mehr«, unterbrach Schwester Lioba ihre Stellvertreterin. »Sie hat unseren Konvent mit liebevoller Hand über viele Jahre geleitet. Aber manche ihrer Ansichten waren doch etwas …« Sie zögerte.
Schwester Heidrun hob das Kinn.
»… sind heute nicht mehr ganz zeitgemäß«, fuhr Schwester Lioba fort. »Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit deutlichgemacht, dass ich unsoziales Verhalten in meinem Konvent nicht dulde. Wenn wir Schwester Brigitta nach dem Namen fragen, mache ich mich unglaubwürdig.«
Verblüfft sah Schwester Heidrun sie an. »Aber, ehrwürdige Mutter, es geht doch nicht um Glaubwürdigkeit, sondern um ein nicht duldbares Fehlverhalten eines Mitglieds unseres Konvents.«
Die Stimme der Priorin hatte sich gehoben. Schwester Lioba warf ihr einen warnenden Blick zu. Sie waren zwar allein im Kreuzgang, doch manchmal schienen den Mauern Ohren zu wachsen.
»Ich verstehe Ihre Sorge«, erklärte Schwester Lioba mit gesenkter Stimme. »Auch ich möchte dieser Sache nachgehen und so schnell wie möglich eine Klärung herbeiführen. Womöglich handelt es sich nur um ein Gerücht, das in der Gemeinschaft kursiert. Dem sollten wir unbedingt nachgehen. Aber es muss einen anderen Weg geben, als Schwester Brigitta zu befragen.«
Der Blick von Schwester Heidrun verfinsterte sich. »Das wird der Betreffenden Gelegenheit geben, weiter in diesem sündigen Zustand zu leben.«
Schwester Lioba musterte ihre Stellvertreterin nachdenklich. »Sie hat sich bereits von unserem Konvent verabschiedet. Zumindest innerlich hat sie unsere Gemeinschaft längst verlassen. Bis sie so weit ist, der inneren Trennung eine äußere folgen zu lassen, macht sie zweifelsohne eine Zeit der Schmerzen und der Qual durch. Ich bin sicher, dass Gott sie darin begleiten und führen wird. Wir sollten sie deshalb nicht verurteilen. Ihr Weg ist qualvoll genug.«
20. Kapitel
Darum haben sie zu keinem Menschen rechte Zuneigung, sind abstoßend im Verkehr, geizig und dumm, dabei in ihrer Wollust ausschweifend und unmäßig im Verkehr mit Weibern, wie die Esel.
Über seine Antwort auf Griesers Frage musste Pater Windisch nicht lange nachdenken.
»Ich bin Miriam Schürmann am Samstag
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