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Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)

Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Die Glut des Zorns (Billy Bob Holland) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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Dann führte der Pfad über ebenen Boden in eine Schlucht, in der überall Birken standen, und wir stießen wieder auf den Wildbach und setzten uns auf eine Steinplatte über einer ruhigen Stelle, wo das Wasser so klar war, dass man die Flussforellen und Bachsaiblinge in drei Meter Tiefe stehen sah.
    Ich kannte Temple fast ihr ganzes Leben lang. Sie verbarg ihren Schmerz, beklagte sich selten und gab sich nie geschlagen. Aber jetzt hatte sie den gleichen entrückten Blick, den ich bei Maisey gesehen hatte, nachdem sie vergewaltigt worden war. Ich warf eine Trockenfliege am oberen Ende der ruhigen Wasserstelle aus und fing eine kleine Flussforelle, befeuchtete mir die Hände, ließ sie wieder frei und gab Temple die Rute.
    »Wirf sie auf der anderen Seite aus. Unter dem Ufersaum steht für gewöhnlich ein Fetter«, sagte ich.
    Sie saß an einer Birke und hatte die Knie angezogen. Der Fels war mit Flechten gesprenkelt, und das raschelnde Laub über ihr leuchtete in der Sonne.
    »Ich will bloß zuschauen«, sagte sie.
    »Ich habe versucht, Lucas dazu zu bewegen, dass er nach Deaf Smith zurückkehrt. Willst du’s dir nicht auch überlegen?«
    »Danke, da muss ich passen«, sagte sie.
    Ich legte meine Fliegenrute hin und setzte mich neben sie. Ich legte ihr die Hand auf die Schulter und strich ihr eine Locke aus der Stirn. Sie schaute mir in die Augen, aber ich konnte ihren Blick nicht deuten.
    »Woran denkst du, Temple?«, fragte ich.
    Aber sie antwortete nicht. Sie lehnte den Kopf an den Baum und betrachtete ein Dickhornschaf, das auf einem Felssims hoch oben auf der anderen Seite der Schlucht stand. Ihr Teint war so glatt und glänzend wie eine frisch aufgegangene Rose. Ich legte meine Hand auf ihre.
    »Hältst du mich für ein Opfer, Billy Bob?«, fragte sie.
    »Nein, tu ich nicht.«
    »Dann brauchst du dir auch keine Sorgen um mich zu machen.«
    Ihr Nylonrucksack lehnte an einem Heidelbeerstrauch. Die Klappe war aufgegangen, und im Innern sah ich den blauschwarzen Stahl und den Perlmuttgriff ihres .38er Revolvers.
    »Du hast vor, Wyatt Dixon umzubringen, nicht wahr?«, sagte ich.
    »Du betrachtest mich entweder als Freundin, oder du hast meinetwegen ein schlechtes Gewissen. Aber etwas anderes fällt dir zu mir nicht ein«, sagte sie, ohne auf meine Frage einzugehen.
    »Das ist nicht fair«, sagte ich und zog meine Hand weg.
    Sie stand auf, nahm ihren Rucksack und stieg vom Felsen auf den Pfad hinab.
    »Ich laufe jetzt zurück. Hübsch ist es hier draußen. Mach dir wegen diesem Zeug keine Sorgen. Du kannst nichts dafür«, sagte sie.
    Und mit diesen Worten hängte sie sich den Rucksack über die eine Schulter und schritt den Pfad hinab. Ihre kastanienbraunen Haare waren mit Sonnenkringeln gesprenkelt, die durch das Laubdach fielen, und mit ihren Jeans und den rosa Tennisschuhen erinnerte sie mich an das kleine Mädchen, das nach wie vor in ihr steckte und mir manchmal, wie ich erfahren hatte, das Herz brechen konnte.
    Mein Urgroßvater Sam Morgan Holland, der Treiber, Trunkenbold und Revolverheld, der zum Sattelprediger geworden war, hatte ein Tagebuch geführt, in dem er von seinen Viehzügen auf dem Goodnight-Loving- und dem Chisholm-Trail berichtete, von den Herden, mit denen er den Red River durchquert und die er bei Gewittern durch das Land der Mesas gehetzt hatte, von seinen Zusammenstößen mit der Dalton-Doolin-Gang im Oklahoma Territory und seiner Liebe zur Rose von Cimarron, einer gesetzlosen Frau.
    Aber zumeist schrieb er über die Wut, die ständig an ihm nagte, ihm keine Ruhe ließ, ihn um den Schlaf brachte, sodass er nachts im Mondlicht auf der Bettkante saß und sich danach sehnte, die beiden Navy-Colts in Händen zu halten. In Wichita, Newton und Abilene hatte er mit den Mündungsblitzen seiner Revolver die Straßen erleuchtet, während Prostituierte von den Balkons der Saloons aus zuschauten, hatte die Nacht mit Donner und Korditgeruch erfüllt und einen Moment lang das Gefühl gehabt, er hätte der Welt einen gerechten Dienst erwiesen und das Böse aus seiner eigenen Brust verbannt, indem er anderen Männern, die schlimmer waren als er, das Leben nahm.
    Wie konnte ein Mann, der sich schon immer zum Geistlichen berufen fühlte, der im Grunde anständig und ehrenwert war, zulassen, dass er mit dem Kainsmal gezeichnet wurde?
    Er hatte es am Little Round Top, am Kennesaw Mountain und in der Schlacht von Franklin getan und dabei die Erfahrung gemacht, dass es einfach war. Man musste sich nur davon

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