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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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hinunter, wo einmal drei Menschen vor dem Kamin gesessen hatten: »Ich muß dir etwas sagen. Als Krisztina im Sterben lag, hat sie nach dir gerufen.«
    »Ja«, sagte der General. »Ich war ja da.«
    »Du warst da und warst doch nicht da. Du warst so weit weg, als wärest du verreist. Du warst in deinem Zimmer, und sie lag im Sterben. Gegen Morgen, mit mir allein. Und da hat sie nach dir verlangt. Ich sage es, damit du es heute Abend weißt.«
    Der General sagte nichts.
    »Ich glaube, er ist da«, sagte er und richtete sich auf. »Gib acht auf die Weine und auch sonst auf alles, Nini.«
    Man hörte das Knirschen der Kiesel in der Einfahrt, dann das Rumpeln der Räder vor dem Portal. Der General lehnte seinen Stock ans Geländer und begann die Treppe hinunterzusteigen, dem Gast entgegen. Auf einer der obersten Stufen blieb er einen Augenblick stehen: »Die Kerzen«, sagte er. »Weißt du noch? ... Die blauen Tafelkerzen. Sind die noch vorhanden? Zündet sie zum Essen an, mögen sie brennen.«
    »Daran habe ich mich nicht mehr erinnert«, sagte die Amme. »Ich schon«, erwiderte er trotzig.
    Ältlich und feierlich in seinem schwarzen Anzug, schritt er in aufrechter Haltung die Treppe hinunter. Die große Glastür der Halle ging auf, und hinter dem Diener erschien ein alter Mann.
    »Siehst du, ich bin noch einmal gekommen«, sagte der Gast leise.
    »Ich habe nie daran gezweifelt«, erwiderte der General ebenso leise, und er lächelte dazu.
    Sie drückten sich die Hände, mit großer Höflichkeit.

10

    Sie traten vor den Kamin, und im kalten Schein der Wandleuchter unterzogen sie einander blinzelnd einer aufmerksamen und fachgerechten Prüfung.
    Konrád war ein paar Monate älter als der General; er hatte im Frühling sein fünfundsiebzigstes Lebensjahr vollendet. Die beiden Alten betrachteten einander mit dem Sachverständnis, wie es nur alte Menschen für die körperlichen Phänomene aufbringen: mit großer Aufmerksamkeit, auf das Wesentliche konzentriert, die letzten Anzeichen von Lebenskraft, die schwachen Spuren der Lebensfreude im Gesicht, in der Haltung des anderen suchend.
    »Nein«, sagte Konrád ernst, »man wird nicht jünger.«
    Doch beide spürten mit neidvoller, aber gleichzeitig freudiger Überraschung, dass der andere der strengen Prüfung standhielt: Die vergangenen einundvierzig Jahre, die Zeit der Ferne, da sie einander nicht sahen und doch täglich und in jeder Stunde um einander wussten, hatten sie nicht gebrochen. Wir haben durchgehalten, dachte der General. Und der Gast dachte mit seltsamer Befriedigung, in der sich Enttäuschung und Genugtuung mischten - Enttäuschung, weil der andere frisch und gesund vor ihm stand, und Genugtuung, weil er selbst im Vollbesitz seiner Kräfte hatte zurückkommen können: »Er hat auf mich gewartet, deshalb ist er so stark.«
    Beide spürten in diesem Augenblick, dass sie in den vergangenen Jahrzehnten ihre Lebenskraft aus dem Warten bezogen hatten. So wie man sich ein Leben lang auf eine einzige Aufgabe vorbereitet. Konrád hatte gewusst, dass er noch einmal würde zurückkommen müssen, und der General hatte gewusst, dass dieser Moment eintreffen würde. Dafür hatten sie gelebt.
    Konrád war auch jetzt bleich, wie in seiner Jugend, und man sah ihm an, dass er noch heute im Zimmer eingeschlossen lebte und die frische Luft mied. Auch er war dunkel gekleidet, in nüchterne, aber sehr feine Stoffe. Offenbar ist er reich, dachte der General. Minutenlang schauten sie einander wortlos an. Dann brachte der Diener Absinth und Schnaps.
    »Woher kommst du?«, fragte der General.
    »Aus London.«
    »Lebst du dort?«
    »In der Nähe. Ich habe in der Nähe von London ein kleines Haus. Als ich aus den Tropen zurückgekommen bin, habe ich mich dort niedergelassen.«
    »Wo in den Tropen warst du?.«
    »In Singapur.« Er hob eine weiße Hand und zeigte ungenau auf einen Punkt in der Luft, als wollte er den Ort im Weltraum bezeichnen, an dem er einst gelebt hatte. »Aber erst am Schluss. Zuvor weit im Innern der Halbinsel, bei den Malaien.«
    »Es heißt«, sagte der General und hob das Absinthglas mit einer grüßenden Geste ins Licht, »die Tropen verbrauchen den Menschen und machen ihn alt.«
    »Sie sind grässlich«, sagte Konrád. »Sie nehmen einem zehn Jahre vom Leben.«
    »Dir aber sieht man das nicht an. Sei willkommen!«
    Sie leerten ihre Gläser und setzten sich.
    »Nicht?«, fragte der Gast, als er sich neben den Kamin setzte, in den Lehnstuhl unter der Uhr. Der

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