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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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General verfolgte seine Bewegungen aufmerksam. Jetzt, da der Freund seinen Platz im Lehnstuhl eingenommen hatte - genau dort, wo er vor einundvierzig Jahren zuletzt gesessen hatte, als gehorchte er unwillkürlich einer Anziehung, dem Zauber des Orts -, blinzelte der General erleichtert. Er fühlte sich wie der Jäger, der endlich das Wild in der Falle erblickt, die es bis dahin achtsam gemieden hatte. Jetzt war alles am richtigen Ort.
    »Die Tropen sind grässlich«, wiederholte Konrád. »Unsereins verträgt sie nicht. Sie verbrauchen einem die Organe, verbrennen einem das Gewebe. Die Tropen bringen etwas in einem um.«
    »Bist du deshalb dorthin gegangen«, fragte der General beiläufig und ohne besondere Betonung, »um etwas in dir umzubringen?«
    Er fragte es in einem höflichen Konversationston. Und auch er setzte sich, dem Kamin gegenüber, in den alten Lehnstuhl, der in der Familie »Florentiner Stuhl« hieß. Das war vor einundvierzig Jahren abends sein Platz gewesen, wenn er und Krisztina und Konrád da gesessen und geplaudert hatten. Jetzt blickten beide auf den dritten Stuhl, den mit französischer Seide bezogenen, leeren.
    »Ja«, sagte Konrád ruhig.
    »Und ist es dir gelungen?«
    »Ich bin schon alt«, sagte Konrád und schaute ins Feuer.
    Er beantwortete die Frage nicht. So saßen sie wortlos, blickten ins Feuer, bis der Diener kam und zum Essen bat.

11

    »Es ist so«, sagte Konrád nach der Forelle. »Zuerst denkst du, du könnest dich daran gewöhnen.« Er sprach von den Tropen. »Ich war noch jung, als ich dorthin kam. Du erinnerst dich ja. Zweiunddreißig. Ich bin gleich in die Sümpfe hinaus. Man lebt dort in Häusern mit Blechdach. Geld hatte ich keins. Bezahlt hat alles die Kolonialgesellschaft. Nachts liegt man auf dem Bett, und es ist, als läge man in einem warmen Nebel. Am Morgen ist der Nebel dichter und heiß. Nach kurzer Zeit stumpft man ab. Alle trinken, die Augen der Menschen sind blutunterlaufen. Im ersten Jahr hat man das Gefühl, man müsse sterben. Im dritten Jahr spürt man, dass man nicht mehr der alte ist, dass sich der Rhythmus des Lebens verändert hat. Man lebt schneller, etwas in einem brennt, das Herz schlägt anders, und gleichzeitig ist einem alles gleichgültig. Monatelang, alles. Dann kommt der Augenblick, da man nicht mehr weiß, was mit einem und um einen herum geschieht. Manchmal passiert das erst nach fünf Jahren, manchmal schon in den ersten Monaten. Der Wutanfall. Viele werden in einem solchen Augenblick zum Mörder, oder sie bringen sich um.«
    »Die Engländer auch?«
    »Die seltener. Aber auch sie werden von diesem Fieber, dieser Wut angesteckt, die nicht von einem Bazillus kommt. Und doch bin ich überzeugt, dass es eine Krankheit ist. Bloß findet man die Ursache nicht. Vielleicht liegt es am Wasser. Vielleicht an den Pflanzen. Vielleicht an der Liebe. Man kann sich nicht an diese malaiischen Frauen gewöhnen. Es gibt unter ihnen wunderschöne. Sie lächeln, und in ihrer Haut, ihren Bewegungen ist eine Geschmeidigkeit, wenn sie einen bedienen, bei Tisch und im Bett ... Und doch kann man sich nicht an sie gewöhnen. Die Engländer ja, die wehren sich. Die nehmen England im Handgepäck mit. Ihre höfliche Überheblichkeit, ihre Verschlossenheit, ihre gute Erziehung, die Golf- und Tennisplätze, den Whisky, den Smoking, den sie abends im blechgedeckten Haus anziehen, mitten im Sumpf. Natürlich nicht alle. Das sind bloß Legenden. Die meisten verrohen nach vier, fünf Jahren genauso wie die anderen, wie die Belgier, die Franzosen, die Holländer. Die Tropen nagen ihre Collegesitten weg wie die Lepra die Haut vom menschlichen Körper. Oxford und Cambridge faulen ab. Zu Hause auf ihrer Insel, musst du wissen, ist jeder verdächtig, der längere Zeit in den Tropen verbracht hat. Er wird geachtet und geehrt, aber er ist auch verdächtig. Ich bin sicher, dass in den Geheimregistern vermerkt wird: ›Tropen.‹ So wie man schriebe: ›Blutkrankheit.‹ Oder: ›Spionagetätigkeit‹. Jeder, der längere Zeit in den Tropen war, ist verdächtig, denn er hat umsonst Golf und Tennis gespielt, umsonst in den Clubs von Singapur Whisky getrunken, er ist umsonst von Zeit zu Zeit im Smoking oder in der Uniform, mit allen Orden auf der Brust, bei den Abendgesellschaften des Gouverneurs erschienen: Er bleibt verdächtig. Weil er die Tropen erlebt hat. Weil er diese beängstigende und unabwehrbare Ansteckungskrankheit in sich trägt, die auch etwas Anziehendes hat, wie jede

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