Die Glut
Lebensgefahr. Die Tropen sind eine Krankheit. Von den Tropenkrankheiten kann man genesen, von den Tropen nie.«
»Ich verstehe«, sagte der General. »Hast du sie auch bekommen?«
»Alle bekommen sie.« Der Gast degustierte den Chablis, mit zurückgeneigtem Kopf und sachverständigen kleinen Schlucken. »Wer nur zum Trinker wird, kommt noch billig weg. Die Leidenschaft lauert dort wie der Tornado in den Wäldern und Bergen jenseits des Sumpfes. Leidenschaften aller Art. Genau deswegen ist für den Insel-Engländer jeder verdächtig, der aus den Tropen zurückkommt. Man weiß nicht, was in seinem Blut, seinem Herzen, seinen Nerven steckt. Jedenfalls ist er kein einfacher Europäer mehr. Nicht mehr ganz. Vergebens hat er sich die europäischen Zeitschriften kommen lassen, vergebens hat er alles gelesen, was in diesem Weltteil in den letzten Jahren oder Jahrhunderten gedacht und geschrieben wurde. Vergebens hat er sich die seltsamen, umständlichen Manieren erhalten, auf die der Weiße in den Tropen unter seinesgleichen so achtet wie der Trinker auf sein Benehmen in Gesellschaft. Er benimmt sich zu steif, damit man ihm die Leidenschaft nicht anmerkt, er ist aalglatt und korrekt und wohlerzogen. In ihm drinnen aber sieht es anders aus.«
»Aber trotzdem«, sagte der General und hob sein Glas mit dem Weißwein ins Licht, »sag doch, was drinnen ist.«
Und als der andere schwieg: »Ich denke, du bist heute Abend gekommen, um es zu erzählen.«
Sie sitzen am langen Tisch, im großen Speisesaal, wo seit Krisztinas Tod kein Gast gesessen, seit Jahrzehnten niemand mehr gespeist hat, und der Saal wirkt wie ein Museum, in dem Möbel und Gebrauchsgegenstände einer verflossenen Zeit gezeigt werden. Die Wände sind von einer alten französischen Täfelung bedeckt, die Möbel stammen aus Versailles. Sie sitzen an den beiden Enden des langen Tisches, zwischen ihnen, in der Mitte der mit weißem Damast gedeckten Fläche, Orchideen in Kristallvasen. Den Blumenschmuck fassen vier Porzellanstatuen ein, vier Meisterwerke aus Sèvres: kunstvolle, anmutige Allegorien des Nordens, Südens, Ostens und Westens. Vor dem General steht der Westen, vor Konrád der Osten: ein grinsender kleiner Sarazene mit Palme und Kamel.
Kerzenhalter aus Porzellan stehen in Reihen auf dem Tisch, mit dicken blauen Kirchenkerzen. Sonst leuchten nur noch verborgene Lichter in den vier Ecken des Raums. Die Kerzen brennen mit hoher, flackernder Flamme, das Zimmer ist halbdunkel. Im Kamin aus grauem Marmor lodert das Holzfeuer schwarzrot. Die Flügeltüren sind nicht ganz geschlossen, die grauen Seidenvorhänge nicht ganz zugezogen. Die Lüfte des Sommerabends kommen zuweilen durch die Fenster herein, durch die dünnen Vorhänge sieht man die mondbeleuchtete Landschaft und die flimmernden Lichter des Städtchens.
An der Mitte des langen Tisches mit den Blumen und den Kerzen steht, vom Kamin abgewandt, noch ein gobelinbezogener Stuhl. Das war der Platz Krisztinas, der Frau des Generals. Vor dem fehlenden Gedeck steht die Allegorie des Südens: Ein Löwe, ein Elefant, ein schwarzgesichtiger Mensch im Burnus hüten auf der handtellergroßen Fläche gemeinsam und friedlich irgend etwas. Der Majordomus, im schwarzen Gehrock, wacht reglos über den Serviertisch im Hintergrund; er dirigiert die Diener, heute Abend in Kniehosen und schwarzem Frack französisch gekleidet, nur mit seinen Blicken. Den französischen Brauch hatte noch die Mutter des Generals hier heimisch gemacht, und jedes Mal, wenn sie in diesem Saal speisten - dessen Möbel, ja auch die Teller, das goldene Besteck, die Gläser, die Kristallvasen und die Wandtäfelung aus der Heimat der fremden Frau stammten -, hatte sie verlangt, dass die Diener im entsprechenden Gewand auftraten und servierten. Im Saal ist es so still, dass sogar das leise Knistern der brennenden Scheite zu hören ist. Sie reden gedämpft, und doch klingen ihre Stimmen: Streichinstrumenten ähnlich lassen die mit altem Holz getäfelten Wände auch halblaute Worte schwingen.
»Nein«, sagt Konrád, der während des Essens nachgedacht hat. »Ich bin gekommen, weil ich in Wien war.«
Er isst hastig, mit feinen Bewegungen, aber mit der Gier des Alters. Jetzt legt er die Gabel hin, beugt sich etwas vor und ruft fast in Richtung des weit weg sitzenden Gastgebers: »Ich bin gekommen, weil ich dich noch einmal sehen wollte. Das ist doch nur natürlich.«
»Nichts ist natürlicher«, erwidert der General höflich. »Du warst also in Wien.
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