Die Glut
chinesischen und malaiischen Kulis. Die chinesischen sind die besten. Sie verspielen alles, aber sie sind die besten. Wir wohnten inmitten des Urwalds im Sumpf. Ein Telefon gab es nicht. Auch kein Radio. In der Welt draußen wütete der Krieg. Da war ich schon englischer Staatsbürger, aber man hatte Verständnis dafür, dass ich nicht gegen meine alte Heimat kämpfen konnte. So etwas verstehen sie. Deshalb durfte ich in die Tropen zurückkehren. Dort wussten wir von gar nichts, am wenigsten konnten die Kulis etwas wissen. Eines Tages aber, mitten im Sumpf, ohne Zeitungen und Radio, Wochenreisen entfernt von allen Nachrichten aus der Welt, haben sie die Arbeit niedergelegt. Mittags um zwölf. Ohne den geringsten Anlass. Nichts um sie herum war anders geworden, weder die Arbeitsbedingungen noch die Ordnung, noch die Versorgung. Es war weder gut noch schlecht. Den Umständen entsprechend. So wie es dort sein musste. Und eines Tages anno Siebzehn sagen sie mittags um zwölf, sie arbeiten nicht mehr weiter. Sie kamen aus dem Dschungel hervor, viertausend Kulis, bis zu den Hüften schlammig, mit nacktem Oberkörper, und legten das Werkzeug nieder, die Äxte und die Hacken, und sagten: genug. Und verlangten das und jenes. Den Gutsbesitzern solle die Disziplinargewalt weggenommen werden. Sie wollten eine Lohnaufbesserung. Längere Arbeitspausen. Es war völlig unbegreiflich, was in sie gefahren war. Viertausend Kulis verwandelten sich vor meinen Augen in viertausend braune und gelbe Teufel. Am Nachmittag bin ich nach Singapur geritten. Dort habe ich es dann erfahren. Ich war einer der ersten auf der Halbinsel, die es erfuhren.«
»Was hast du auf der Halbinsel erfahren?«, fragt der General und beugt sich vor.
»Ich habe erfahren, dass in Russland die Revolution ausgebrochen war. Ein Mensch, von dem man nur wusste, dass er Lenin hieß, sei in einem plombierten Eisenbahnwagen nach Hause zurückgekehrt, den Bolschewismus im Gepäck. In London erfuhren sie es am selben Tag wie meine Kulis im Urwald ohne Radio und Telefon. Es war unbegreiflich. Dann aber habe ich es verstanden. Was einem wichtig ist, erfährt man auch ohne Apparate.
»Meinst du?«, fragt der General.
»Ich weiß es«, antwortet der andere. »Wann ist Krisztina gestorben?«, fragt er unvermittelt.
»Woher weißt du, dass Krisztina gestorben ist?«, fragt der General tonlos. »Du hast in den Tropen gelebt, warst einundvierzig Jahre nicht mehr auf dem Kontinent. Hast du es gespürt wie deine Kulis die Revolution?«
»Habe ich es gespürt?«, sagt der Gast. »Vielleicht. Aber sie sitzt ja nicht da. Wo mag sie sein? Doch wohl nur im Grab.«
»Ja«, sagt der General. »Sie liegt im Garten, in der Nähe der Gewächshäuser. So wie sie es gewünscht hat.«
»Ist sie schon vor langer Zeit gestorben?«
»Acht Jahre nachdem du weggegangen warst.«
»Acht Jahre danach«, sagt der Gast, und seine blutleeren Lippen und sein weißes künstliches Gebiss bewegen sich wie beim Kauen oder Zählen. »Mit dreißig Jahren.« Jetzt rechnet er schon halblaut. »Wäre sie noch am Leben, wäre sie heute dreiundsechzig.«
»Ja. Sie wäre eine alte Frau, so wie wir alte Männer sind.«
»Woran ist sie gestorben?«
»An Blutarmut, wie es hieß. Eine ziemlich seltene Krankheit.«
»Gar nicht so selten«, sagt Konrád fachmännisch. »In den Tropen ist sie häufig. Die Lebensbedingungen verändern sich, und das Blutbild reagiert darauf.«
»Möglich«, sagt der General. »Möglich, dass sie auch in Europa ziemlich häufig vorkommt, wenn sich die Lebensbedingungen verändern. Ich verstehe nichts davon.«
»Ich auch nicht viel. Nur hat man in den Tropen ständig körperliche Probleme. Man wird allmählich zum Quacksalber. Auch die Malaien quacksalbern fortwährend. Sie ist also neunzehnhundertsieben gestorben«, sagt er schließlich so ungerührt, als hätte er die ganze Zeit darüber nachgedacht und endlich das Resultat berechnet. »Warst du da noch im Dienst?«
»Ja. Ich habe während des ganzen Kriegs gedient.«
»Wie war es?«
»Der Krieg?« Der General blickt steif auf den Gast. »So grässlich wie die Tropen. Vor allem der letzte Winter. Im Norden. Auch hier in Europa ist das Leben abenteuerlich«, sagt er lächelnd.
»Abenteuerlich? ... Ja, mag sein.« Der Gast nickt zustimmend. »Du kannst es mir glauben, dass ich manchmal daran gelitten habe, nicht zu Hause zu sein, während ihr euch schlagt. Ich habe sogar daran gedacht, heimzukommen und mich beim Regiment zu
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