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Die Glut

Die Glut

Titel: Die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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gewissermaßen das Ganze zusammen, verkleben das Grundmaterial der Erinnerung. Daran habe ich auch manchmal gedacht, in den Tropen, wenn es regnete. Dieser Regen«, sagt er, als wolle er das Thema wechseln, »monatelang. Trommelt auf das Blechdach wie ein Maschinengewehr. Der Sumpf dampft, der Regen ist warm. Alles ist feucht, die Bettlaken, die Unterwäsche, die Bücher, der Tabak in der Blechdose, das Brot. Alles ist klebrig, leimig. Du sitzt im Haus, die Malaien singen. Die Frau, die du zu dir genommen hast, sitzt reglos in einer Ecke des Zimmers und schaut dich an. Sie können stundenlang so sitzen und einen anstarren. Zuerst achtet man nicht darauf. Dann wird man nervös, befiehlt ihnen, aus dem Zimmer zu gehen. Aber das hilft nichts: Du weißt, sie sitzen woanders, in einem anderen Zimmer, und starren dich durch die Wände hindurch an. Sie haben große braune Augen wie die tibetanischen Hunde, diese stummen Viecher, die unterwürfigsten Tiere auf der ganzen weiten Welt. Mit solchen glänzenden, ruhigen Augen schauen sie einen an, und wo immer man geht, fühlt man diesen Blick wie eine unheilvolle Strahlung, die einen verfolgt. Wenn du sie anschreist, lächelt sie. Wenn du sie schlägst, schaut sie dich lächelnd an. Wenn du sie wegschickst, setzt sie sich auf die Schwelle des Hauses und schaut herein. Da muß man sie zurückrufen. Sie bekommen fortwährend Kinder, aber davon spricht niemand, am wenigsten sie selbst. Als hättest du ein Tier, eine Mörderin, eine Priesterin, eine Zauberin und eine Fanatikerin in einer Person bei dir. Mit der Zeit wird man müde, denn dieses Schauen ist so stark, dass es auch den Stärksten zermürbt. So stark wie eine Berührung. Als würde man fortwährend gestreichelt. Es ist zum Verrücktwerden. Dann wird auch das gleichgültig. Es regnet. Man sitzt in seinem Zimmer, trinkt Schnaps, viel Schnaps, raucht süßen Tabak. Manchmal kommt jemand, sagt nicht viel, trinkt auch Schnaps und raucht süßen Tabak. Man möchte lesen, aber irgendwie regnet es ins Buch hinein; nicht im wörtlichen Sinn, und doch wirklich, die Buchstaben ergeben keinen Sinn, man hört nur den Regen. Man möchte Klavier spielen, aber der Regen sitzt neben einem und spielt mit. Dann kommt die Trockenheit, die dampfende Helle. Man altert rasch.«
    »Hast du in den Tropen«, fragt der General höflich, »zuweilen die Polonaise-Fantaisie gespielt?«
    Sie verzehren jetzt die Steaks, aufmerksam und mit mächtigem Appetit, ins eifrige Kauen versunken, nach Art der alten Leute, für die das Essen nicht mehr nur einfache Nahrungsaufnahme ist, sondern eine feierliche, archaische Handlung. Wie zum Kräftesammeln, so kauen und schlucken sie, auf diese Weise aufmerksam. Für das Tun braucht es Kraft, und die findet sich auch in den Speisen, im halb durchgebratenen Fleisch, im dunklen Wein. Sie essen ein bisschen schmatzend und mit einer so ernsten, ehrfürchtigen Hingabe, als hätten sie keine Zeit mehr, auf die Tischmanieren zu achten, als wäre es wichtiger, jede Faser des Fleisches gründlich zu zerkauen, die Lebenskraft, die in diesem Stoff steckt, auszusaugen und sich zunutze zu machen. Sie essen zwar mit feinen Bewegungen, aber auch so wie die Stammesältesten beim Fest: unaufhaltsam, unverdrossen.
    In seiner Ecke verfolgt der Majordomus die Bewegungen des Dieners mit besorgten Blicken, denn dieser balanciert gerade mit weißbehandschuhten Händen eine große Platte. Darauf Schokoladeeis, mit blaugelben Alkoholflammen brennend.
    Die Diener schenken dem Gast und dem Hausherrn Champagner ein. Die beiden Alten riechen fachmännisch an der blassgelben Flüssigkeit aus der fast kindergroßen Flasche.
    Der General kostet davon und schiebt das Glas weg. Er macht ein Zeichen, dass er mehr Rotwein möchte. Blinzelnd verfolgt der Gast dieses Manöver. Vom vielen Essen und Trinken sind sie beide erhitzt.
    »Zu meines Großvaters Zeiten«, sagt der General und blickt auf den Wein, »stand neben jedem Gast ein Pint Tischwein. Das war die Gästeportion. Ein Pint, ein halber Liter. Tischwein. Mein Vater hat erzählt, dass auch vor den Gästen des Königs in Kristallkaraffen Tischwein stand. Vor jedem Gast eine Karaffe. Tischwein hieß er eben, weil er dort stand und der Gast soviel trinken konnte, wie er mochte. Die offiziellen Weine wurden separat eingeschenkt. Das war die Trinkordnung beim König.«
    »Ja«, sagt Konrád, rot und mit Verdauen beschäftigt. »Da hatte noch alles seine Ordnung«, fügt er gleichgültig

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