Die Glut
Ich sehe den Augenblick, da ich dich im Garten der Anstalt meinem Vater vorstellte. Er hat dich damals als seinen Freund angenommen, weil du mein Freund warst. Er nahm nicht so rasch jemanden als seinen Freund an. Doch was er sagte, galt bis zum Tod. Erinnerst du dich an diesen Augenblick? ... Wir standen unter den Kastanien der großen Auffahrt, und mein Vater gab dir die Hand. ›Du bist der Freund meines Sohnes‹, hat er gesagt. ›Ehrt diese Freundschaft‹, hat er ernst hinzugefügt. Ich glaube, für ihn war nichts so wichtig wie dieses Wort. Hörst du mir zu? ... Danke. Ich will es also erzählen. Und mir Mühe geben, es der Reihe nach zu tun. Sei ganz unbesorgt, der Wagen wartet, er fährt dich jederzeit in die Stadt zurück, wenn du gehen möchtest. Sei ganz beruhigt, du brauchst nicht hier zu schlafen, wenn du nicht willst. Ich könnte mir vorstellen, dass es für dich nicht angenehm wäre. Doch wenn du es wünschst, kannst du die Nacht hier verbringen«, sagt er beiläufig. Und als der andere abwinkt: »Ganz wie du möchtest. Der Wagen wartet. Er bringt dich in die Stadt zurück, und am Morgen magst du wegfahren, in dein Haus bei London, oder in die Tropen, oder wohin auch immer. Vorher aber hör mich an.«
»Ich höre«, sagt der Gast.
»Danke«, antwortet der General lebhafter. »Wir könnten auch von anderem sprechen. Zwei alte Freunde, denen die Sonne nicht mehr scheint, erinnern sich an vieles. Doch wenn du schon da bist, wollen wir nur noch von der Wahrheit sprechen. Ich habe also damit begonnen, dass dich mein Vater als seinen Freund annahm. Du weißt genau, was das bei ihm bedeutete, du wusstest genau, dass der, dem er die Hand gegeben hatte, in allen Schicksalsschlägen des Lebens, in Not und Leid, auf ihn zählen konnte. Er hat selten jemandem die Hand gegeben, das stimmt. Aber wenn, dann ohne Vorbehalt. Auf diese Art hat er dir die Hand gegeben, im Hof der Anstalt, unter den Kastanien. Da waren wir zwölf Jahre alt. Es war der letzte Augenblick der Kindheit. Ich sehe ihn manchmal nachts mit aller Deutlichkeit, so wie alles, was im Leben wichtig war. Für meinen Vater bedeutete das Wort ›Freundschaft‹ dasselbe wie Ehre. Das wusstest du genau, du kanntest ihn ja. Und lass mich dir auch sagen, dass es für mich vielleicht sogar noch mehr bedeutete. Verzeih mir, wenn dir vielleicht unbehaglich wird von dem, was ich da erzähle«, sagt er leise und fast mit Wärme.
»Es ist mir nicht unbehaglich«, sagt Konrád ebenso leise. »Erzähl.«
»Es wäre gut zu wissen«, sagt er, als diskutiere er mit sich selbst, »ob es so etwas wie Freundschaft überhaupt gibt. Ich meine jetzt nicht die Gelegenheitsfreude, mit der sich zwei Menschen begegnen, weil sie in einem Abschnitt ihres Lebens über bestimmte Dinge gleich denken, weil sie einen ähnlichen Geschmack, ähnliche Bedürfnisse haben. All das ist nicht Freundschaft. Manchmal denke ich fast schon, sie sei die stärkste Verbindung im Leben und deshalb so selten. Und was liegt ihr zugrunde? Die Sympathie? Ein leeres, schales Wort, zu schwach, um auszudrücken, dass zwei Menschen in den schweren Momenten des Lebens füreinander einstehen. Sympathie? Oder vielleicht doch etwas anderes ... Vielleicht gibt es in der Tiefe einer jeden zwischenmenschlichen Beziehung ein Fünkchen Eros. Hier im Wald, in meiner Einsamkeit, als ich die Dinge des Lebens zu verstehen suchte, habe ich das hin und wieder gedacht. Die Freundschaft ist natürlich etwas anderes als die Angelegenheiten krankhaft veranlagter Menschen, die mit Gleichgeschlechtlichen eine Art von Befriedigung suchen. Für den Eros der Freundschaft braucht es den Körper nicht … der würde eher stören als erregen. Und doch ist es Eros. In jeder Liebe, in jeder zwischenmenschlichen Beziehung lebt der Eros. Weißt du, ich habe viel gelesen«, sagt er, als wolle er sich entschuldigen.
»Heute wird darüber viel freier geschrieben. Aber auch Plato habe ich immer wieder gelesen, denn in der Schule hatte ich ihn noch nicht verstanden. Die Freundschaft, so dachte ich - du, der in der Welt herumgekommen ist, weißt darüber bestimmt besser und umfassender Bescheid als ich in meiner dörflichen Einsamkeit -, ist die edelste Beziehung, die es zwischen muttergeborenen Lebewesen geben kann. Interessant ist, dass auch die Tiere sie kennen. Es gibt zwischen Tieren Freundschaft, Selbstlosigkeit, Hilfsbereitschaft. Ein russischer Herzog hat darüber geschrieben. Ich habe seinen Namen vergessen. Es gibt Löwen und
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