Die Godin
ihn prüfend an und überlegte einen Augenblick.
»Oh mei«, seufzte sie schließlich mitleidig und verdrehte die Augen, »scho wieder ein Komiker… Geh zu! Du schtiehlsch mir mei Zeit!«
Kajetan spielte den Ahnungslosen. »Wie kommst auf Komiker?«
»Geh zu«, wiederholte sie gelangweilt, »i weiß scho, wie dus möchsch: umsonsch. Du hasch wirkli gmeint, daß der Schpaß a nagelneuer is? Den hör i zwanzgmal am Tag.«
Kajetan fühlte sich ertapppt. Ihre Stimme wurde laut. »Und etzla packsch di, sonsch gschieht was!«
Er ging schnell weiter. Am Karlsplatz, der bereits am Ende der Straße zu sehen war, kreuzten zwei Trambahnen; auch in der Schützenstraße, die den Platz vor dem Zentralbahnhof mit dem Karlsplatz verband, herrschte noch reger Betrieb. Plötzlich bemerkte er, wie sich sein Magen zu krampfen begann. Er hatte heute noch nichts gegessen. Nun roch er den Dunst fetter Speisen. Unwillkürlich griff er in seine Hosentasche, wußte aber im gleichen Augenblick, daß die wenigen Münzen nur noch für eine Tasse Kaffee und ein kleines Gebäck reichen würden.
Das ordinäre Gelächter, das von der Gaststätte »Steyrer« auf die Straße kreischte, hatte Kajetan unangenehm berührt. Dennoch brachte ihn die Neugier dazu, vor dem Lokal stehenzubleiben, neben dessen sich immer wieder von aus- und eintretenden Gästen öffnender Eingangstür sich ein Paar küßte. Er trat einen Schritt näher und versuchte, durch die bedampften Glasscheiben in das Innere des Lokals zu sehen.
Der »Steyrer« war in der Stadt als Ort halbseidenen Amüsements bekannt und berüchtigt. Während des Kriegs trafen sich hier vor allem jene, die auch in diesen Notjahren offenbar über ausreichend Geld verfügten. Bereits damals hatte sich die in der Prinzregentenzeit beliebte Volkssängerbühne, die in einem Saal hinter den Gasträumen untergebracht war, zu einem zweifelhaften Variete gewandelt, das ein anständiger Bürger nicht mehr zu betreten hatte - zumindest nicht zu den Zeiten, wo man ihn dabei hätte beobachten können.
Wieder dröhnte Gelächter ins Freie. Es übertönte die Ankunft eines Wagens. Kajetan sah sich nicht um. Ausgelassene Stimmen waren zu hören, als sich die Wagentür öffnete. Kajetan zog seine Schultern hoch und wollte weitergehen.
»Ist des ned…?« Die Stimme klang ungläubig.
Kajetan drehte sich ruckartig um. Im dämmrigen Hof des aus der Gaststätte fallenden Lichtscheins erkannte er eine Gruppe Männer und Frauen, von der sich einige schon auf dem Weg zur Eingangstür des »Steyrer« gemacht hatten, nun aber mißtrauisch stehengeblieben waren.
»Ja! Er is es!« rief Mia und griff nach dem Ellbogen des Mannes, mit dem sie den Wagen verlassen hatte. Er trug einen eleganten Bowler, einen über das Knie reichenden, am Kragen pelzbesetzten Paletot. Um den Hals hatte er einen dünnstoffigen, hellen Schal geschlungen. Mit leichtem Unwillen wandte er sich ihr zu und blieb stehen.
»Fritz! Des is der Mann!«
Mias Begleiter schien es eilig zu haben. Er nahm die Zigarette aus dem Mund. »Was für ein Mann?« fragte er.
Sie hielt ihn zurück. »Hab ich dir doch erzählt! Der vom Markt!«
»Sie waren das?« Der Gutgekleidete musterte Kajetan neugierig. Sein lippenloser Mund unter dem dünn ausrasierten Bärtchen formte sich zu einem Lächeln. »Der den Messer und den Bierkugel umgehauen hat? Tatsach?«
Kajetan nickte unsicher und sah zur Seite.
»Wenn ichs sag, Fritz!« Mia strahlte. »Mein edler Retter!« scherzte sie. Ihr Begleiter warf ihr einen amüsierten Blick zu.
»Na dann!« rief er aufgeräumt. »Soll hereinkommen, dein Retter!« Er winkte jovial und zog das Mädchen mit sich. Kajetan war unschlüssig. Er dachte daran, wieviel Geld er noch besaß.
Mia wandte sich aus dem Griff des Mannes, den sie »Fritzi« genannt hatte. »Jetzt stehns ned umeinand«, lockte sie und lächelte ihm aufmunternd zu, »der Fritz ladt Sie ein! Das ists ihm wert, gell, Fritz?«
Der Mann mit dem Bowler bestätigte großzügig. »Aber wenn er sich noch länger so anstellt, kann ers auch bleiben lassen.«
Mia griff energisch zu und zog Kajetan mit sich.
Als sie durch den Gastraum zum Variete gingen, wurde die Gruppe von allen Seiten lautstark begrüßt. Fritz winkte mit lässiger Handbewegung zurück. Im Vorbeigehen bestellte er. Der Kellner eilte beflissen zum Schanktisch.
Vor einem Perlvorhang, der den Theaterraum zum Flur abtrennte, stand ein kräftiger, großgewachsener Mann. Er hob die Hand.
»Servus,
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