Die Godin
Musik änderte sich und wurde lauter. Ein arabisches Motiv erklang. Auf dem Hintergrund der kleinen Bühne glühte die Projektion einer ägyptischen Szene auf und umriß eine malerisch drapierte Gruppe leichtbekleideter Darsteller in bacchantischer Pose. Dann fiel ein Lichtkegel auf die beiden Figuren, die an der Spitze der angedeuteten Pyramide saßen. Das maskenhaft geschminkte Mädchen war bis auf einen um die Hüfte geschlungenen durchsichtigen Schleier nackt, den Mann umhüllte eine blaue Toga. Die Nackte erhob sich mit gezierter Feierlichkeit und begann zu tanzen.
An einem Tisch in der Nähe der Bühne entstand Unruhe. Mia hatte nicht zugesehen und leise mit Urban gesprochen. Der Inhaber schüttelte unwillig den Kopf.
»Geh!« wehrte er halblaut ab.
»Fritzi!« Sie spitzte den Mund und tat flehend.
»Hab ichs Geld grad aso? Der Herr da«, Urban zeigte auf Kajetan, »… der Herr da is was wert, nedwahr? Den kann ich gar nicht derzahlen!«
»Fritzi…!« Sie berührte seine Schulter. »Eine ganze Nacht hams ihn eingesperrt!«
Urban maß sie zweifelnd. »Eingesperrt? Woher weißt das?«
»Es is geredet worden.«
Der Inhaber stellte sein Glas ab und beugte sich zu Kajetan. »Und wo? In der Zweier-Wach gar? Wegen was des?«
»Was meinst du denn, Fritzi? Weils halt gemeint haben, er gehört zu dir!«
Urban lehnte sich wieder zurück und sah Kajetan nachdenklich an. Mia stieß ihn sanft.
»Fritzi…«, schmollte sie. »Und so was möchte mein Impresario sein?«
Fritz Urban schüttelte ärgerlich den Kopf. »Gib eine Ruh, Mia.« Er hob das Glas gegen Kajetan und schlug ihm mit der anderen Hand gönnerhaft auf die Schulter. »Kopf hoch! Sie bringens schon noch zu was! Heut sinds auf jeden Fall mein Gast! Der Urban laßt sich ned lumpen!« Er führte das Glas an seinen Mund. Mia lehnte sich zurück.
Es war lauter geworden. Vom Bühnenrand drang Gelächter. Urban runzelte die Stirn. »Was ist denn das? Schoos? Kandl?« Er stellte das Glas ab. Die Angesprochenen folgten seinem Blick und hoben ratlos die Schultern.
Urban kniff die Augen zusammen.
»Was ist denn heut los?« zischte er ungehalten und zeigte zur Bühne. »Seit wann spielt denn die da die Cleopatra?« Herrisch hob Urban die Hand. »Gustl! Her da!«
Der Conferencier hastete durch die Tischgruppen und trat an den Tisch.
»Was soll das, Gustl? Magst mich ruinieren? Ist des wieder eine deiner künstlerischen Interpretationen? Das soll eine Cleopatra sein? Die Mary? Mit ihren Hühnerduttn? Da hat ja der Antonius mehr Holz vor der Hütten. Das ist doch keine Kultur ned! Die Leut wollen Brust, Gustl. Bretter kriegens beim Zimmerer. Eine Blamage ist das!«
Der Conferencier machte eine beschwichtigende Handbewegung, beugte sich zu Urban und flüsterte in dessen Ohr. Der Inhaber hörte ärgerlich zu.
»Abgeholt? Die Fürsorg schon wieder?« fuhr er auf. »Hast du epper…?«
»Was soll ich denn tun?« verteidigte sich der eingeschüchterte Gustl. »Die Weiber lügen ja allweil, wenn ich sie nach dem Alter frag.«
»Eine Blamage ist das«, wiederholte Urban, »schauns, da vorn! Die Leut lachen mich ja aus! Was ist des denn überhaupt für ein Haufen da vorne?«
»Eine Reisegruppe von Wien.«
»Und was krähen die grad aso?«
»Gemein ist des!« pflichtete Mia bei. Die beiden Männer und das Mädchen nickten.
Gustl hob die Schultern. »Weiß ned!«
Schoos erhob sich. »Soll ich denen beibringen, was sich bei uns gehört, Fritz?«
Urban überlegte. »Wart! Gustl, saufens denn gescheit?«
Der Conferencier nickte. »Allerdings.«
Das kreischende Gelächter an den Tischen vor der Bühne hatte zugenommen. Obwohl die Musikanten lauter spielten, konnten sie den Lärm nun nicht mehr übertönen. Ein Name wurde gerufen. Kajetan sah, daß die Tänzerin zu zittern begonnen hatte. Plötzlich schlug sie die Hände vor ihr Gesicht und lief aufschluchzend von der Bühne. Gustl eilte entsetzt nach vorne. »Vorhang!« schrie er mit sich überschlagender Stimme.
Urban machte eine Handbewegung zu Schoos, der sich daraufhin wieder auf seinen Stuhl zurückfallen ließ. Er stand auf und ging gemessenen Schrittes nach vorne.
»Meine Herrschaften, ich darf Sie drauf aufmerksam machen, daß Sie sich hier nicht in einem Ottakringer Stehbeisl befinden. Wenn Sie für Kultur kein Verständnis haben, ist das Ihre Sache. Aber in meinem Lokal wird sich anständig benommen.«
Die Sitzenden starrten ihn verblüfft an. Das Gelächter war in ein verdrücktes Prusten
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