Die Godin
müssen! Was hätte ich denn tun sollen? Ich« - er schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust und begann, vor Selbstmitleid überwältigt, zu schluchzen -, »ich bin das Opfer! Ich allein!«
Kajetan drosch die Tür hinter sich zu.
Die Dämmerung hatte eingesetzt, als Kajetan wieder in Sarzhofen eintraf. Er hatte den ganzen Weg zu Fuß zurückgelegt und dabei vergeblich versucht, seine Gedanken zu ordnen. Immer wieder mußte er voller Bitterkeit und hilfloser Wut an das Schicksal von Mias Mutter denken. Er hätte den Arzt am liebsten verprügelt. Ein junger Fuhrknecht, der ihn überholte und seine Fahrt verlangsamt hatte, vermutlich, weil er ihm anbieten wollte, ihn ein Stück Weges mitzunehmen, hatte nach einem Blick in Kajetans von Haß gezeichnetes Gesicht die Pferde wieder angetrieben.
Die körperliche Anstrengung des langen Marsches hatte seine Aufregung schließlich besänftigt. Unterhalb des Ortes überquerte er die Flußbrücke und betrat den schmalen Fahrweg, der zum Haus der Totenpackerin führte.
Der alte Bader saß sinnend auf der Hausbank und blickte in die untergehende Sonne. Kajetan legte seinen Finger an die Schläfe.
»Habe ich die Ehre mit dem Bader-Vinz?« Der Bader bewegte sich nicht. »Mhm«, grunzte er stillversunken. »Ist Er es selber?«
»Mhm.«
»Ah - ich bin auf der Suche nach der Totenpackerin. Ist sie daheim?«
»Mhm.«
Kajetan ging einen Schritt auf die Haustür zu. Das »Mhm!« des Bader klang kehliger.
Kajetan verstand. »Ah so… ja, aber auf dem Friedhof ist sie auch nicht!«
»Hm.«
»Ist sie vielleicht fortgegangen?«
»Mhm.«
Es mußten überwältigende Gesichte sein, die den Bader in ihren Bann gezogen hatten.
Kajetan blickte erschlagen zum Himmel. Doch die helfende Auskunft kam nicht von dort, sondern von einem Geräusch hinter dem Haus. Kajetan betrat den seitlich gelegenen Hausgarten und sah die Leichenfrau in einem Gemüsebeet werkeln. Sie richtete sich auf und empfing ihn mit einem neugierigen, doch freundlichen Blick.
Kajetan grüßte, stellte sich vor und bat sie darum, ihm von ihrem Gespräch mit Mia zu erzählen. Sie legte einen Bund Zwiebeln zur Seite, wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und schlug nach einer Schnake an ihrem Nacken. Warum er das wissen wolle? Was - auch Vronis Tochter sei gestorben? Welcher Verdruß!
»Bittschön, Totenpackerin…«, flehte Kajetan.
Sie begann zögernd.
»Also… ich bin im Schauhaus, da seh ich auf einmal, daß da eine im Friedhof umeinandersucht und zum Schluß akkurat vor der Vroni ihrem Grab stehenbleibt. Und ich wird neugierig, weil doch ein jedes gedacht hat, daß es da keine Verwandten mehr gab. Also gehst hin und fragst, sag ich mir. >Wer bistn nachert du<, frag ich.
>Die Tochter<, sagts.
>Was<, sag ich, >lüg mich nicht an.<
>Joh<, sagts, >ich bins schon.< Und erzählt, warums nicht hat kommen können zur Beisetzung, wegen der Post, die wo den Brief zu spät gebracht hätt oder sie nicht gefunden hat.
>Ja so was<, sag ich! >So ein Verdruß.<
>Das ist wahr<, meints ganz trüb.
>Erst die Mutter<, sag ich, >dann der Vater!<
Und da - da schauts mich auf einmal an. Mit Augen, größer wie ein Wagenradi.
>Was für ein Vater?< fragts und schaut ganz gspaßig.
>Ja, Weibi<, sag ich, >hast das epper nicht gewußt? Der ist doch… ja, weißt du des wirklich nicht?< frag ich.
Sagt sie: >Tu nicht umeinander, was soll ich nicht wissen. Was ist mit meinem Vater?<
Dann hab ich halt nimmer anders können und hab ihr alles gesagt. Daß der Marti ihr Vater gewesen ist, dort drüben - ich hab hingedeutet - sei er eingegraben, und verbrannt sei er im Zuchthaus.
>Wegen was<, wollts wissen.
>Umbracht hat er einen<, sag ich.
>Und die Mamma<, fragts mich. >Was war denn mit der gewesen? Sie ist doch noch keine fünfzig Jahr gewesen.< Und da penzt sie mich auch so lang an, bis ich ihr sagen muß, daß sie im Irrenhaus in Allerberg gewesen ist, fast zwanzig Jahr lang.
Auf einmal seh ich, daß sie käsweiß geworden ist. Und dann fangts zu tränzen an.
>Mia, tu beten<, sag ich, weil mir nichts Gescheiteres einfallt.
>Beten?< sagts. >Zu wem? Zu dem epper, der mich so umeinanderhaut?<
>Tu dich nicht versündigen, ich bitt dich in aller Heiligen Nam<, sag ich.
Aber sie schaut mich bloß an wie einen Geist, dreht sich um und rennt fort. Ich seh grad noch, wie sie am Fluß entlang zur Brücken geht. Gottswillen, denk ich mir, sie wird sich doch nichts antun. Aber dann hab ich sie auf der anderen Seiten
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